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Abkommen von Oslo: Der Irrtum vom Frieden

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Bill Clinton, Shimon Peres und Yassir Arafat wähnten sich vor 30 Jahren auf dem Weg zu einer Friedenslösung im Nahost-Konflikt.
Bill Clinton, Shimon Peres und Yassir Arafat wähnten sich vor 30 Jahren auf dem Weg zu einer Friedenslösung im Nahost-Konflikt. © imago images / ZUMA Press

1993 haben Israel und die PLO das Abkommen von Oslo geschlossen, von dem sich viele Menschen ein Ende des Konflikts erhofften – aber noch mehr wurden seitdem enttäuscht.

Es gilt als historischer Moment: Vor 30 Jahren schüttelten PLO-Chef Yassir Arafat und Israels Ministerpräsident Yitzhak Rabin, kurz davor noch strenge Feinde, einander in Washington die Hände. Die Unterzeichnung des Oslo-Abkommens am 13. September 1993 wurde als Friedensvertrag gefeiert. Zu Unrecht, wie der damalige israelische Chefverhandler Yossi Beilin sagt. Der stellvertretender Außenminister in Rabins Regierung verantwortete seinerzeit die Oslo-Verhandlungen, und er erinnert sich noch genau an jenen ungewöhnlich heißen Septembertag im Jahr 1993.

„Es war ein extrem aufregender Tag, die ganze Welt war auf dem Rasen des Weißen Hauses versammelt – Premierminister, Außenminister. Ich stand irgendwo im Eck, aber fast alle kamen, um mir zu gratulieren, das war ganz besonders“, erzählt Beilin. „Als ich dann später aber dieses Bild sah, von dem großgewachsenen US-Präsidenten zwischen den zwei kleinen politischen Führungsfiguren, dachte ich: Das ist zu dick aufgetragen. Die Menschen werden glauben, dass wir mit den Palästinensern Frieden geschlossen haben.“

Oslo war kein Friedensabkommen, sondern eine Prinzipienerklärung, die einen Fahrplan für die nächsten fünf Jahre festlegte. „Es war ein Interimsabkommen, und die größte Schwäche von Oslo ist, dass es heute immer noch in Kraft ist“, sagt Beilin. Es sei eben das Versagen der Israelis gewesen, keine endgültige Lösung anzustreben, sagt der heute 75-Jährige. „Einen Partner für eine permanente Lösung hätten wir gehabt, und das wussten wir.“

Fehler, keinen Siedlungsstopp festzuschreiben

Ein weiterer Fehler der Israelis war laut Beilin, keinen Siedlungsstopp in dem Abkommen festzuschreiben. „Die Palästinenser verlangten ein Einfrieren der Siedlungen und ich hielt das für eine nachvollziehbare Forderung“, sagt Beilin. „Rabin meinte aber, wenn die Palästinenser uns vertrauen, dann wissen sie, dass wir ohnehin keine neuen Siedlungen bauen wollen.“ Der damalige israelische Premier bezog sich auf eine Resolution seiner Regierung, in der man sich zum Siedlungsstopp bekannte.

Zwei Jahre später wurde Rabin von einem jüdischen Rechtsextremen ermordet. Benjamin Netanjahu, der im Mai 1996 an die Macht kam, „fühlte sich an die Resolution nicht mehr gebunden“, so Beilin. Die Folge: Seit 1993 hat sich die Zahl jüdischer Siedlungen in der Westbank verfünffacht.

Hanan Ashrawi, ehemals palästinensische Chefverhandlerin, hatte schon im September 1993 „gemischte Gefühle“, wie sie sagt. Auch sie wohnte der Zeremonie auf dem Rasen des Weißen Hauses bei. „Ich sah die schweren Mängel dieser Vereinbarung und ich war besorgt.“

Ashrawi, eine politisch aktive Intellektuelle und Literaturwissenschaftlerin, hatte in den Monaten zuvor die von den USA geleiteten Madrider Friedensverhandlungen für die palästinensische Seite geführt. Während diese offiziellen Gespräche ins Stocken gerieten, fanden sich israelische Akademiker:innen mit PLO-Leuten in Oslo zu geheimen Verhandlungen ein, die schließlich von Yassir Arafat und Ministerpräsident Yitzhak Rabin grünes Licht erhielten. Das war die Vorgeschichte zum historischen Handschlag vom 13. September. US-Präsident Bill Clinton war erst zum Schluss eingeweiht worden.

Palästinenser weisen auf Schwachpunkte hin

Während die Welt Oslo feierte, sahen hochrangige palästinensische Aktive wie Ashrawi vor allem die Schwachpunkte der neuen Grundsatzvereinbarung. „Es ging nur um Nebenaspekte, während der Kern des Konflikts umgangen wurde“, sagt Ashrawi und bemängelt: „Die Frage der Besatzung an sich wurde überhaupt nicht angetastet.“

Israel hatte Ostjerusalem und das Westjordanland 1967 im Sechs-Tage-Krieg eingenommen und hielt sie seither besetzt. Die Osloer Verträge wollten zwar einen Teilrückzug einleiten, laut Ashrawi ging es in dem Übereinkommen aber vor allem darum, „die Besatzung zu reorganisieren: Man gab der schwächeren Seite, den Palästinensern, alle Verantwortung für Verwaltungsagenden, beließ die Macht aber in den Händen der Stärkeren.“

Israel habe diese Macht genutzt, um Siedlungen auszubauen, die Wasserversorgung im Westjordanland zu kontrollieren und den Grenzverlauf zu bestimmen – „alles unter dem Vorwand, es sei ja nur ein Interimsabkommen“.

PLO-Führer Yassir Arafat feierte das zwar damals als Erfolg, schließlich brachte Oslo mit sich, dass Israel die PLO als offizielle Vertretung der Palästinenser anerkannte. „Aber der Preis dafür war zu hoch“, sagt Ashrawi heute. Für die erfahrene Politikerin hatte Oslo auch persönlich eine bittere Note. Nachdem sie als offizielle Vertreterin seit Monaten in den Madrid-Washington-Friedensprozess verhandelt hatte, in dem die PLO auf Geheiß der Israelis dezidiert nicht erwünscht war, gab Arafat den verdeckten Verhandlungen von PLO und Israelis auf dem Nebengleis in Oslo den Vorzug. „Ihm ging es nur darum, wie man es schafft, die PLO anzuerkennen – zugleich ignorierte er das Recht der Palästinenser auf Freiheit und Selbstbestimmung.“

Kaum Ansätze für Verhandlungen

In Israel sieht Ashrawi heute keine Gesprächspartner für neue Verhandlungen – selbst im Fall, dass die aktuelle rechts-religiöse Regierung abgewählt wird. „Der ganze politische Diskurs in Israel ist nach rechts gerückt.“ Zudem würden regelmäßige Völkerrechtsbrüche seitens Israel von den USA und der EU einfach abgenickt. In der europäischen Politik vermisst Ashrawi „Voraussicht und Rückgrat“. „Sie sprechen von Zwei-Staaten-Lösung und klopfen sich auf die Schultern, dabei haben sie es Israel erlaubt, die Zwei-Staaten-Lösung zu zerstören. Wo wollt ihr den palästinensischen Staat denn hinpflanzen? Auf den Mond?“

Ob ihre Seite heute ohne Oslo-Abkommen besser dastünde, kann Ashrawi nicht sagen. „Manche glauben das. Ich weiß es nicht. Ich fürchte aber, dass die substanziellen Mängel dieses Abkommens letztlich jede Art einer Lösung verunmöglicht haben.“

Yossi Beilin ist optimistischer: „Viele sagen, die Zwei-Staaten-Lösung sei tot, aber das ist Unsinn. Das würde ja bedeuten, dass die Siedler ihr Ziel erreicht haben – so viele Siedlungen zu bauen, dass es keine Zwei-Staaten-Lösung geben kann.“

Beilin, der mehrere Jahre die Linkspartei Meretz-Jachad leitete, glaubt an eine palästinensisch-israelische Staatenkonföderation. Im Moment scheitere die ausschließlich an Israel – auf palästinensischer Seite gebe es in Mahmud Abbas einen Gesprächspartner, glaubt er.

Beilin versprüht seltenen Optimismus, was die Zukunft Israels und Palästinas betrifft: „Die aktuelle israelische Regierung wird implodieren“, glaubt er. „Die nächste wird eine Mitte-Links-Regierung sein. Und sie wird schon bald Gespräche mit den Palästinensern aufnehmen.“

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