Die Berichterstattung über die Terroraktion der Hamas vom 7.10.

– die, damit es zu keinen mehr oder minder bewussten Missverständnissen kommen möge, zu verurteilen ist – hat uns wieder einmal die auch im „wertegeleiteten Westen“ herrschende absolut inakzeptable Doppelmoral drastisch vor Augen geführt. Angesichts der Brutalität und des Ausmaßes dieser Aktion ist Empörung, auch Verzweiflung, absolut nachvollziehbar und legitim. Dass aber die Hintergründe des ganzen Konfliktes, welche mehr als 50 Jahre zurückreichen, die Widersprüche, wo blieb die legendäre Professionalität der israelischen Sicherheitskräfte, so gut wie nicht erwähnt werden, war und ist schon bemerkenswert. Warum hat man die offensichtlichen Warnungen von ägyptischer Seite ignoriert? Waren vielleicht wichtige Teile der aktuellen israelischen Regierung, welche zuletzt wegen ihrer staatsstreichähnlichen Justizreform stark unter Druck gekommen sind, sogar an einer gewissen Ablenkung interessiert? Der Eintritt von Teilen der bisherigen Opposition in die Notstandsregierung hat jedenfalls diese Probleme für eine längere Zeit vom Tisch gewischt. Auch die zuletzt schüchtern geäußerte Kritik der USA, des wichtigsten und trotz allem bedingungslosen Unterstützers des jüdischen Staates, ist in eine grenzenlose, auch militärische, Unterstützung, Israels umgeschlagen. Hier gäbe es noch einer Reihe weiterer interessanter Fragen, die in der allumfassenden internationalen Solidarität nun einfach unter den Tisch fallen. Die internationale Solidarität mit Israel auf politischer und auch medialer Ebene ist grenzenlos und total, vor allem in Deutschland und Österreich.

In dieser Situation wird man bereits als pathologischer Antisemit diffamiert, wenn man kritische Fragen stellt. Neben der bereits erwähnten Verwunderung über die plötzliche Schwäche des israelischen Geheimdienstes und Militärs ist da noch eine weitaus größere Verwunderung bezüglich der angeblichen Überraschung über diese Aktion zu artikulieren. Nach 56 Jahren Jahren Besatzungsregime, nach der – unzählige male wegen Völkerrechtswidrigkeit verurteilter – Siedlungs- und Landraubpolitik, nach der gezielten Tötung von durchschnittlich 400 Palästinenser*innen pro Jahr(1) sowie nach der unmissverständlichen Aufkündigung der nach wie völkerrechtlich verbindlichen Zweistaatenlösung durch die Ende des Vorjahres an die Macht gekommene israelische Ultra-Rechts-Regierung, deren wesentliche Partner unmissverständlich den Anspruch des jüdischen Volkes auf das gesamte Territorium des ehemaligen britischen Völkerbundmandates angemeldet haben, kann es doch für jeden nur einigermaßen informierten Menschen eine Frage der Zeit bis zu einer massiven Widerstandsaktion gewesen sein. Auch wenn man Art und Umfang dieser Aktion verurteilen mag, so war diese durchaus ein erwartbarer und auch legitimer Akt des Widerstandes.

Wer also immer die seit 1948 anhaltende völkerrechtswidrige Vertreibungs- und Besatzungspolitik Israels ohne Einspruch und/oder Verurteilung hingenommen und/oder unterstützt hat, muss sich daher völlig legitim den Vorwurf der Doppelmoral gefallen lassen. Das, was man dem südafrikanischen, dem algerischen und anderen ehemals kolonialisierten Völkern zugute gehalten hat, muss auch für das palästinensische gelten. Und dass es bei derartigen Befreiungsprozessen – leider – auch immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen gekommen ist, ist höchst bedauerlich und auch zu verurteilen. Übrigens scheint es vielen der aktuellen Israel-Unterstützer*innen nicht bekannt und/oder bewusst zu sein, dass es auch vor (leider auch nach) der Gründung des jüdischen Staates zu schrecklichen Übergriffen und Verbrechen seitens jüdischer Terrororganisationen gekommen ist. Keiner der damaligen Täter wurde jemals zur Verantwortung gezogen, manche davon sind sogar in höchste Staatsämter Israels aufgestiegen.

Zur Gedächtnisauffrischung der Israellobbyist*innen in Politik und Medien

Zur Schließung einer Reihe von Gedächtnis- und Wissenslücken Jener, die sich in den letzten Tagen für eine bedingungslose Solidarität mit Israel ohne Berücksichtung mancher Widersprüche und offener Fragen engagiert haben, verweise ich auf einige Publikationen der letzten Tage. Diese erlauben eine umfassendere Einschätzung der Lage, vor allem auch unter Berücksichtigung von teilweise lange Zeit zurückliegende Konfliktursachen:

  • Der US-amerikanische Publizist Patrick Lawrence bietet eine umfassende Analyse der gesamten Situation. (Link)
  • Der deutsche Sicherheitsexperte Jürgen Hübschen befasst sich in erster Linie mit der Vorhersehbarkeit einer derartigen Aktion. (Link)
  • Im New Yorker erläutern Adam Rasgon und David D. Kickpatrick eine Reihe weiterer bislang unbekannter Details. Ein Gespräch mit dem führenden Hamas-Funktionär Al-Marzouk bringt durchaus interessante Einblicke. (Englisch / Deutsch)
  • Seymour Hersh beschreibt die Pläne Israels, unter Einsatz der jüngsten (also tödlichsten) Generation US-amerikanischer „bunker-busters JDAM“ Gaza City dem Erdboden gleichzumachen und einen Großteil der Bewohner*innen des Gazastreifens in den ägyptischen Sinai zu vertreiben. Dass der Einsatz dieser Superbomben bereits eine längerfristige gemeinsame Planung mit der US-Armee voraussetzt, ist wohl anzunehmen, und die Planungen bezüglich der Errichtung eines Mega-Flüchtlingslagers auf ägyptischem Territorium kaum mit Ägypten abgesprochen sein dürften, sieht man wieder Beispiele für die rücksichtslose Vorgangsweise Israels. (Englisch / Deutsch)
  • Schließlich verweise ich auch noch auf Stellungnahmen der Palästinensischen Gemeinde in Österreich und der European Coordination of Committees and Associations for Palestine. (PGO / ECCP)

Die Haltung Europas, ganz besondere Österreichs, stellt einen flagranten Bruch früherer Positionen dar: Sie legitimiert die aggressive und völkerrechtswidrige Politik und delegitimiert die völkerrechtlichen Ansprüche der Palästinenser!

Abschließend noch einige Worte zur Position Österreichs. Diese wurde innerhalb weniger Jahre Schritt für Schritt in ihr Gegenteil verkehrt. Aus der mutigen und weitsichtigen Position, die Bruno Kreisky in den 70er Jahren formuliert hat, wodurch ein wesentlicher Beitrag zu einer breiten internationalen Anerkennung der Ansprüche des Palästinensischen Volkes geleistet worden ist, ist eine der kritiklosesten pro-israelischen Haltungen in ganz Europa geworden. Die bereits zum zweiten male durchgeführte Beflaggung des Bundeskanzleramtes und des Außenministeriums, welche diesmal noch durch die Beflaggung des Parlamentes getoppt worden ist, hat sich nicht einmal die deutsche Bundesregierung getraut, obwohl in Deutschland die Israelsolidarität bekanntlich zur Staatsräson gehört. Dieser radikale Kurswechsel Österreich hat mit türkis-blau begonnen, wie man sieht, haben nunmehr die Grünen die diesbezügliche Position der Blauen ein zu eins übernommen.

Es gäbe noch viel über den aktuellen Anlassfall, vor allem auch über die in der aktuellen Debatte durchaus bewusst ausgesparten historischen Entwicklungen zu berichten, aber ich schließe einmal diese erste umfassende Information. Es ist zu befürchten, dass dieser neuerliche israelisch-palästinensische Waffengang längere Zeit andauern wird und die bisherigen bei weitem übertreffen wird.

(1) Diese Angaben sind den Aufzeichnungen der UNO (OCHA) entnommen, welche diese makabre Statistik seit 2008 führt. https://www.ochaopt.org/country/opt

https://ochaopt.org/content/hostilities-gaza-and-israel-flash-appeal

Die Anfang des Jahres mit zwei Palästina-Veranstaltungen begonnene Wiederaufnahme öffentlicher Informations- und Diskussionsveranstaltungen der GÖAB wurde am 28.4. mit dem Vortrag von Alexander Weissenburger „Frieden für den Jemen?“ erfolgreich fortgesetzt. An dem gemeinsam mit der Österreichisch-Jemenitischen Gesellschaft (ÖJG) in den Räumlichkeiten des International Instituts for Peace (IIP) durchgeführten Vortrag nahmen knapp 100 Personen teil. Der Vortragende konzentrierte sich vor allem auf die Organisation der Houthi, im Laufe der angeregten Diskussion wurden aber auch andere Fragen des aktuellen Konfliktes und seiner Hintergründe behandelt. Die Frage und Antwort Session wurde dann noch lange bei dem ausgezeichneten jemenitischen Buffett (dafür nochmals herzlichen Dank bei den Mitgliedern der ÖJG!) fortgesetzt.

Alles in allem eine erfolgreiche Veranstaltung, weitere folgen in Kürze.

Die GÖAB, die ÖJG und das International Institute for Peace laden zu einer Informationsveranstaltung über die aktuelle Situation im Jemen ein.
Nähere Details siehe beiliegende Einladung.

Im Anschluss an die Veranstaltung laden wir zu einem kleinen jemenitischen Snack ein.

Auf zahlreichen Besuch freuen sich
Mohammed Al-Abed (Präsident ÖJG) und
Fritz Edlinger (Präsident GÖAB)

Israel im neuen Millennium

Buchpräsentation und Diskussion

Die Politik der israelischen Regierung hat im Jahr 2023 Massendemonstrationen im Land ausgelöst. Doch der Rechtsruck in Israel, so argumentiert die israelisch-deutsche Historikerin Tamar Amar-Dahl in ihrem neuen Buch, begann schon zur Jahrtausendwende: Die Entscheidung, den Volksaufstand der Palästinenser niederzuschlagen, diente zur Legitimation des Besatzungsregimes und legte den Zivilmilitarismus der israelischen Gesellschaft offen. Verheerende Kriege folgten und die alte Friedensideologie verschwand. Die Wiederwahl von Benjamin Netanjahu markiert den Siegeszug der Neozionisten.

Buchpräsentation mit:

  • Tamar Amar-Dahl (Autorin)
  • Moderation: Fritz Edlinger (Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen)

Freitag 5. Mai 2023 – OKAZ Österreichisch Arabisches Kulturzentrum

Es ist interessant, dass es bislang noch immer keine öffentliche Stellungnahme der österreichischen Bundesregierung zu den Wahlen in Israel und zur Bildung einer rechtsradikalen Regierung, der drei verurteilte Rechtsbrecher angehören, gibt. Ob es inzwischen einigen bei schwarz/grün klar geworden ist, was da nicht nur auf die Palästinenser*innen sondern auf die ganze Welt zukommen wird? 

Dass wir uns im wahrsten Sinne des Wortes „warm anziehen“ müssen, haben bereits die ersten Tage nach der Amtsübername gezeigt. Der eine, wegen Terrorismus verurteilte, hat gleich einmal einen provokanten Besuch auf Haram al-Sharif (Tempelberg) absolviert und dabei den absoluten Anspruch des jüdischen Volkes auf ganz Palästina unterstrichen. Der andere, wegen Korruption verirteilte, hat gleich einmal angekündigt, dass er Gelder, welche der Palästinensischen Autonomie gehören, einbehalten (man könnte auch einfach stehlen sagen) wird. Man könnte die Liste von Schrecklichkeiten, die da noch kommen werden, endlos fortsetzen. Dazu aber ein anderes Mal.

Wie gesagt, ich habe mir zunächst einmal erlaubt, den Bundeskanzler und seinen Außenminister zu fragen, wie denn nun „unsere“ Bundesregierung zu dieser rechtsradikalen, faschistoiden Rechtsbrechertruppe steht. Denn bislang gab es dazu – zumindest öffentlich – nichts zu hören und zu sehen. Angesichts der Tatsache, dass die österreichische Bundesregierung die über Jahrzehnte bekannte und weltweit anerkannte Haltung zum Nahostkonflikt radikal verändert hat – kann sich jemand an eine öffentliche Debatte darüber erinnern? Ich nicht! – wäre es ja interessant, wie sich sich dazu stellt, dass es eine Regierung in Tel Aviv gibt, die sich offen zur Vertreibung und Enteignung des Palästinensischen Volkes bekennt. Dass dies auch die Politik aller Vorgängerregierungen, also seit der Gründung des Staates Israel im Mai 1948 gewesen ist, wissen wir, nur hat man sich dazu nicht bekannt. Jetzt bekennt man sich dazu, da man ja auch von der absoluten Überlegenheit des jüdischen Volkes überzeugt ist. Dass dies rassistisch ist und die Grundlagen des seit 1945 geltenden Völkerrechtes verleugne, ist eine Tatsache, an die sich manche in der Welt, offensichtlich auch am Ballhausplatz, gewöhnen müssen.

Ich habe mir daher erlaubt, den folgenden Brief an Nehammer und Schallenberg zu richten. Ob eine Antwort kommen wird, ist fraglich, aber wir werden nicht aufgeben.

Fritz Edlinger

Trotz schwieriger Zeiten ein guter Erfolg

Die Palästinensische Filmwoche 2022  wurde – wegen der durch die Anfang des Jahres noch herrschenden Beschränkungen – in zwei Teilen durchgeführt.

Vom 21.-27.2. wurde daher im wesentlichen das bereits für November 2020 vorgesehene aber pandemiebedingt leider abgesagte Programm gezeigt. (Die ursprünglich für 2021 geplante Durchführung musste leider ebenfalls entfallen, wir haben uns allerdings entschlossen, den Film „Jaffa – The Oranges’s Clockwork“ als einzelne Sonderveranstaltung am 10.6.2021 zu zeigen.)

Vom 30.11. – 4.12 wurde schließlich der zweite Teil durchgeführt. Dort zeigten wir die Filme „Let it be morning“, „Beirut – Eye of the storm“ sowie „200 Meters“.

Mit insgesamt 650 Besucher*innen konnten das Ergebnis der bisherigen Filmwochen sogar übertreffen.

Unser Dank gilt dem Votiv-Kino für die ausgezeichnete Zusammenarbeit sowie unseren Sponsoren.


Ein ausführlicherer Bericht ist auf der Webseite www.palfilmwien.at zu finden.

Friedensvisionen 2: Gespräch & Lesung Karl Helmreich

DO 19. Jänner 2023, 19:00 Uhr
Aktionsradius Wien
1200 Wien, Gaußplatz 11

Das Lied ist zeitlos aktuell – ob man den Krieg Russland-Ukraine betrachtet oder in den Nahen Osten schaut, oder auf so viele Kriegs- und Konfliktfelder der Welt. Überall werden junge Menschen von unsinnigen Kriegen verheizt. Die Thematik der Kriegsdienstverweigerung berührt auch unsere grundsätzliche Einstellung zum Krieg. Ist es heute überhaupt noch moralisch vertretbar, bei einem Krieg mitzutun? Der Krieg hat eine neue Dimension bekommen, weil jeder Krieg ausarten kann zu einem Atomkrieg, der sogar das Ende der Menschheit herbeiführen kann. Kriegsdienstverweigerer und Deserteure heute – Helden oder Feiglinge? Exemplarisch für das Thema bringt der Abend Zeugnisse mutiger junger Menschen in Israel.

Karl Helmreich, Benediktiner des Stiftes Melk, hat pazifistische Stimmen und Texte zusammengetragen und wird einige Begründungen junger Frauen und Männer lesen, warum sie den Kriegsdienst verweigern und an der Logik der Gewalt nicht mitmachen wollen. Stimmen junger Wehrdienstverweigerer – auch eine unbequeme Wahrheit für Israel. Obwohl bei der letzten Wahl in Israel Ben-Gvir unter der jungen Generation gepunktet hat, nimmt die Zahl von Wehrdienstverweigerern in der Jugend Israels ständig zu. Berührend sind sie in der Klarheit ihrer Argumente und in der

Bereitschaft, Gefängnis, Benachteiligung und Unverständnis auf sich zu nehmen. Ihr Friedensdienst verdient Anerkennung aller human denkenden Menschen auch international und besonders durch das unterdrückte palästinensische Volk. Ihr gewaltfreier Widerstand bezeugt das Unrecht der Besatzung.

Die Themen des Abends:

  • das Menschenrecht auf Wehrdienstverweigerung
  • knapper Abriss der Entwicklung Wehrdienstverweigerung – Zivildienst in Österreich (zum Verständnis der Gäste, die nicht österreichische Staatsbürger sind)
  • Wehrdienstverpflichtung in Israel
  • Lesung einiger Begründungen junger Frauen und Männer, warum sie verweigern.
  • Briefe junger Israeli an ihre Regierung – einige Zeugnisse junger Israelis und ihre Bestrafung
  • Publikumsgespräch

Moderation: Fritz Edlinger (Chefredakteur / International – Zeitschrift für internationale Politik)

Eintritt: Spende erbeten.

Ort: Aktionsradius Wien, Gaußplatz 11, 1200 Wien.

Eine Veranstaltung von: Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen (GÖAB), Frauen in Schwarz (Wien), Internationaler Versöhnungsbund, Pax Christi – in Kooperation mit Aktionsradius Wien.

Zionismus, Kolonialismus, Apartheid — und danach?

Gespräch mit Michael Ingber

Montag, 16.01.2023 – 19.00
Aktionsradius Wien,
1200 Wien, Gaußplatz 11

Bei dieser Veranstaltung wird der Weg eines Menschen geschildert von einer jüdisch- humanistischen Erziehung, über den vom Zionismus motivierten langjährigen Militärdienst bei der israelischen Armee, bis zum Engagement als Friedensaktivist, der sich für die Rechte der PalästinenserInnen einsetzt.
Dadurch sollten die Schwierigkeiten einer Änderung der Einstellung und der Weltanschauung von jungen Frauen und Männern beleuchtet werden, welche zum Teil auch aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen ihre Ablehnung und ihren Protest durch Verweigerung des Militärdienstes artikulieren.
Auf dieser Grundlage werden die folgenden Fragen behandelt:

  • Das Leben der PalästinenserInnen unter israelischer Besatzung.
  • Israel heute, mit besonderem Fokus auf
    • den weiteren Rechtsrutsch der jüdisch-israelischen Gesellschaft und Politik – und dessen Bedeutung für die palästinensischen BürgerInnen des Staates Israel
    • Jüdisch-israelischer Militarismus, religiöser Fundamentalismus und Erziehung unter dem Einfluss des Holocaust
  • Strategien Richtung Versöhnung und Frieden

Zu Michael Ingber:
„Nachdem ich 1968 die israelische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, bin ich von der israelischen Armee eingezogen worden und leistete insgesamt 26 Jahre Militärdienst. Jahrelang war ich in der von Israel besetzten palästinensischen West Bank in unmittelbarem Einsatz des Besatzungsapparats und nahm an Aktionen teil, welche die Zivil- und Menschenrechte der PalästinenserInnen schwer verletzten. Erst in den 1990er Jahren habe ich PalästinenserInnen auf einer persönlichen Ebene, d.h. auf Augenhöhe — und nicht in einer Konfrontationssituation — kennengelernt, und, ergänzt durch eigene Recherchen, er- fuhr ich eine tiefgreifende Veränderung meiner politischen Einstellungen. Dies umfasst auch meine Weltanschauung in grundlegenden Fragen der menschlichen Beziehungen und der Legitimität und Sinnhaftigkeit der Gewaltanwendung.“

Die ausgezeichnete Ansprache des Palästinensischen Botschafters Salah Abdel Shafi bei dem heutigen Empfang anläßlich des Internationalen Solidaritätstages mit dem Palästinensischen Volk hat mich zu der folgenden ergänzenden Stellungnahme motiviert:

Salah Abdel Shafi hat völlig zurecht die Solidarität und Unterstützung Österreichs für das Palästinensische Volk seit den frühen Siebziger Jahren erwähnt und sich dafür herzlich bedankt, er hat aber – in diplomatisch gebührender zurückhaltender Weise – auch sein Bedauern darüber ausgedrückt, dass sich Österreich zuletzt bei einer Abstimmung in den Vereinten Nationen gegen eine Resolution, welche die völkerrechtlichen Ansprüche Palästinas unterstützt, ausgesprochen hat. In nicht-diplomatischer Ausdrucksweise würde ich dieses Verhalten Österreichs auf das Schärfste kritisieren und auch darauf hinweisen, in welcher „guten“ Gesellschaft sich Österreich auf internationaler Ebene inzwischen befindet.

Hier nun einige Details: Die Resolution A/C.4/77/L.12/Rev.1 „Israeli practices affecting the human rights of the Palestinian people in the Occupied Territory including East Jerusalem“ vom 10.11.2022 wurde mit 98 Stimmen bei 17 Gegenstimmen und 52 Enthaltungen angenommen. (Den Text kann man bei dem unten angeführten Link abrufen). Sehen wir uns die 17 Gegenstimmen näher an: Davon kamen sieben aus Europa und 10 aus dem Rest der Welt. Die europäischen Staaten waren neben Österreich: Deutschland, Estland, Italien, Litauen, Tschechien und Ungarn. „Interessant“ wird es bei den zehn Nicht-Europäern: Australien, Guatemala, Israel, Kanada, Liberia, Marshal Inseln, Mikronesien, Nauru, Palau und USA. Um es etwas pointiert zusammenzufassen: Österreich befindet sich auf globalem Niveau inzwischen bei den hard-core Israelunterstützern und den für ihre US-ferngesteuerte Politik bekannten Staaten wie Marschall Inseln, Mikronesien, Nauru und Palau. Ja und in Europa sind ja ultrarechte nationalistische Länder, die wie Ungarn schon mit EU-Sanktionen belegt sind, unsere besten Freunde.

Dass dieses Abstimmungsverhalten Österreichs kein einmaliger Ausrutscher war, untermauern ähnliche Verhaltensweisen im Rahmen von Unterorganisationen der Vereinten Nationen, z.B. des Menschenrechtsrates, in den vergangenen Jahren.

Naja, die Beflaggung des Bundeskanzleramtes und des Außenministerium mit der israelischen Fahne bei den jüngsten israelischen Militäraktionen in Gaza, sollte nicht ganz in Vergessenheit geraten. Auch nicht die zahlreichen, vor allem unter türkis-blau begonnenen, Staatsbesuche in Israel, sowie die enge Zusammenarbeit mit der israelischen Armee.

Dass es bis dato noch immer keine offizielle Stellungnahme Österreichs zu dem Wahlergebnis in Israel und der inzwischen schon Realität gewordenen Tatsache, dass Angehörige faschistischer israelischer Parteien führende Funktionen in der nächsten israelischen Regierung übernehmen werden, ist wohl auch kein Zufall. Offensichtlich konnte man sich noch nicht darauf einigen, wie man diese Typen willkommen heißen wird.

Kurzum: Österreich hat beim israelisch-palästinensischen Konflikt die Seiten gewechselt!

Dass sich Österreich auch in anderen Grundsatzfragen immer mehr von menschenrechtsorientierten Positionen entfernt, wurde in den letzten Tagen gleich zweimal dokumentiert: in der Allianz mit Ungarn und Serbien in der Asylpolitik sowie in den Appellen führender ÖVP-Politiker zu einer Modernisierung (sprich Verschlechterung) der Menschenrechte. Die Österreichische Bundesregierung erweist sich meiner Meinung nach – im Widerspruch zum grünen Juniorpartner – ganz klar als konsequenter Verfechter der unter Sebastian Kurz begonnenen türkisen Ultra- Rechtspolitik.

Apropos Sebastian Kurz und österreichische Nahostpolitik: Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass der „private Businessmann“ Kurz nun Beirat in dem von Donald Trumps Schwiegersohn Jared Kushner gegründeten „Abraham Accords Peace Institute“ wird. Wesentliche Aufgabe dieses Institutes ist es, die durch den Abraham Accord zulasten der Ansprüche des Palästinensischen Volkes getroffenen Vereinbarungen zwischen Israel und einigen arabischen Staaten weiter zu treiben und vor allem auch für die Beteiligten profitabel werden zu lassen. Somit ist der von Donald Trump favorisierte europäische Politiker zurück im rechten Lager.

Es gäbe – leider – noch weitere Beispiele für ein schrittweises aber konsequentes Abrücken von traditionellen Positionen der österreichischen Außenpolitik. Offensichtlich fühlt sich der gegenwärtige österreichische Außenminister nach wie vor als Kurzianer.

Fritz Edlinger
Präsident
Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen