Panorama of Jerusalem Old City with Church of the Holy Sepulchre, Israel

Völkermord in Gaza… Perspektiven für eine Lösung

Das Thema zieht viele Interessierte in Basel an. In den üblichen Veranstaltungsorten redet man sich heraus: wir sind für diesen Tag schon belegt. Aber am Rande von Basel, leicht erreichbar aus der Innenstadt, hat sich ein aufgeschlossener Pfarrer bereit erklärt, den Saal seiner Gemeinde bereitzustellen. Der Saal wird voll.

Und er wird voll trotz der Rolle, die Basel für die Entstehung des Zionismus gespielt hat.

1897, also 127 Jahre vor meinem Vortrag zum Völkermord, findet im Casino Basel der Erste Zionistische Kongress statt, auf dem der Zionismus als Bewegung gegründet wird. Theodor Herzl, der ein Jahr zuvor seine programmatische Schrift „Der Judenstaat“ publiziert hatte, übernachtete im (bis heute) besten Hotel der Stadt, dem Hotel „Drei Könige“. Auf dem Balkon des Hotels wurde das historische Bild Herzls vor dem Rhein und der Rheinbrücke aufgenommen, mit seinem visionären Blick in die Zukunft

Aber die Zeiten ändern sich. Herzl hat die Nase voll von Israel, wie wir von B. Michael in Haaretz erfahren. B. Michael besuchte nämlich Herzls Grab auf dem Herzls-Berg in Jerusalem. Und dort fand er die Überraschung seines Lebens:

Herzl stand, voll gekleidet in seinem bekannten Gehrock, der Zylinder noch abgelegt auf dem Mausoleum, neben dem Grab.

https://www.haaretz.com/opinion/2024-08-12/ty-article-opinion/.premium/what-theodor-herzl-would-say-about-todays-israel/00000191-47c1-d5d7-a3bf-e7e34c760000

Die erste schockierte Frage von B. Michael: was machen Sie denn, Herr Herzl. Herzl klärte ihn auf: „ich bin ein deutscher Jude und hinterlasse kein Chaos“, dabei faltete er sorgfältig sein Leichentuch zusammen. Und dann zeigte er auf seinen Gehrock: „Sehen Sie: Das ist beste Wiener Qualität. Ich hatte darauf bestanden, dass die Kleidung mit mir ins Grab gelegt wird. Und jetzt: wie neu!“

Als nächstes fragte B. Michael, immer noch unter Schockeinwirkung: Wie sind sie denn aus dem Grab gekommen?

Herzl antwortete: „Natürlich grub ich einen Tunnel, wie das heute jeder macht!“

Die Ermordung Rabins im November 1995 habe ihn dazu gezwungen. Diese Ermordung habe alle seine Visionen für einen jüdischen Staat zerstört. Schließlich, so meint er, habe er nicht nur die programmatische Schrift „Der Judenstaat“ geschrieben, sondern vor allem das Buch „Altneuland“, in dem seine Visionen zu lesen sind.

Und seine Vision für den Judenstaat sei „ein aufgeklärter Staat gewesen, Gleichheit unabhängig von Nationalität, Religion oder gender. Ein Staat, in dem die Generäle in den Kasernen und die Priester in den Synagogen bleiben müssen. Ein Staat, der sich der Gefahren, die von Nationalismus, extremistischer Religion und Rassismus ausgehen, bewusst ist.“

„Und was habt Ihr hier daraus gemacht“, so Herzls rhetorische Frage, und er ist erschüttert, als er sie stellt:

„Genau das Gegenteil. Einen Mülleimer von Rassismus, Nationalismus, Militarismus, Hass, religiöser Eifer, Diskrimination von Frauen, Grausamkeit, Tyrannei, Korruption. Rabbiner in den Kasernen und Generäle in den Synagogen.“

Und er schließt entrüstet:

„Und ich soll dafür verantwortlich sein! Nein!“

Jetzt wolle er weg von hier, um im einfachen Mausoleum seiner Familie in Wien auf dem Döblinger Friedhof endlich seine Ruhe zu finden.

Damit wendet er sich an B.Michael: „Wie komme ich von hier zum Ben-Gurion Flughafen?“

„Es gibt keine Flüge“, so die Antwort von B. Michael.

„Scheiße,“ murmelte Herzl, „jetzt hat man mich schon wieder verarscht“, und damit legt er seinen Zylinder wieder ab.

In Basel gibt es seit 1997 eine sehr aktive Palästina-Bewegung. Sie entstand als Gegenveranstaltung zu 100 Jahren Zionismus-Kongress. In der Bewegung sind neben Schweizer Bürgern auch arabische und jüdische Oppositionelle (mit oder ohne Schweizer Pass) organisiert.

2004 wurde das Palästina-Komitee gegründet, heute bekannt unter dem Namen „Palästina-Solidarität Basel“. Sie geben eine eigene Zeitschrift heraus: „Palästina Info“. Außerdem haben sie ihre eigene Webseite, auf der ihre regelmäßigen Veranstaltungen angekündigt werden.

Wichtig für sie ist die uneingeschränkte Unterstützung der BDS Bewegung (boycott, divestment, sanctions): Boykott, Abzug aller Investitionen aus Israel und den Besetzten Gebieten, Sanktionen.

Seit 2023 versuchen sie, sich landesweit zu vernetzen in einem breiten Bündnis von christlichen Aktivisten bis hin zu radikalen Linken. Sie wollen breit und heterogen weitermachen und nicht zuletzt junge Leute und studentische Aktivisten einschließen.

Schon am 24. Januar organisierten sie eine Großdemonstration gegen den Genozid in Gaza. 6.000 Menschen nahmen teil. Während des Ramadan fand ein „Eid für Frieden“ (Fest für Frieden) statt. Es gab ein gemeinsames Essen (Iftar) und dabei wurden 20 000 $ gesammelt für die UNRWA. Das war eine klare Gegenaktion gegen die offizielle Schweizer Politik, die UNRWA nicht mehr finanziell unterstützt, obwohl der UNRWA Generalsekretär Schweizer ist, Philippe Lazzarini.

Für den 5. Oktober ist eine landesweite Demonstration geplant in Basel, die tatsächlich schon genehmigt ist. Sie ist national koordiniert unter der „Federation Suisse-Palestine“  (FSP) bzw. dem „Dachverband Schweiz-Palästina“.  Die Veranstalter hoffen auf mindestens 6.000 Teilnehmer.

Leider gibt es auch negative Entwicklungen, wie mir Hanspeter G. bedauernd mitteilt. Noch vor Jahren sei die Universität Basel sehr offen gewesen für pro-palästinensische Veranstaltungen bzw. für wissenschaftliche Vorträge zu Palästina. Heute seien ihre Tore fast hermetisch verschlossen. Inzwischen gibt es, so fährt er fort, selbst inner-universitär nichts mehr zu Palästina. Dafür seien „Jüdische Studien“ stark vertreten. Und man behaupte, jüdischen Studierende fühlten sich von pro-palästinensischen Aktivitäten bedroht. Argumente dagegen werden schlicht abgeblockt.

Aber linke jüdische Aktivisten kommen regelmäßig nach Basel und können, eben außerhalb der Universität, in Veranstaltungen, die von der Palästina-Solidarität organisiert werden, reden, wie z.B. Shir Hever oder Nurit Peled.

Zum 125. Jahrestag der Gründung des Zionismus in Basel schließlich gab es noch eine, wenn auch relativ kleine, aber doch sehr erfolgreiche Gegendemonstration vor dem Casino, die in der Zivilgesellschaft sehr positiv aufgenommen wurde. Das hilft dabei, die oft unerträglichen, billigen, ja regelrecht heimtückischen Attacken gegen die Palästina-Solidarität zu überstehen. Und einschüchtern lassen sie sich nicht in Basel.

Verglichen mit dem Horror in Gaza, in der Westbank und zuletzt im Libanon, so schließt Hanspeter G. unser Gespräch, seien diese Attacken etwas, das man überstehen könne, gegen das man angehe mit umso größerem Engagement für Palästina und für ein Ende des Völkermordes: von Gaza bis nach Beirut

Panorama of Jerusalem Old City with Church of the Holy Sepulchre, Israel

Von Helga Baumgarten

Die Riverside-Kirche in New York: ein historischer Ort. Hier hat Martin Luther King jun. am 4. April 1967 seine Predigt gegen den Vietnam Krieg gehalten: „Beyond Vietnam: A time to break silence.“ (Jenseits von Vietnam: Wir müssen das Schweigen brechen).

57 Jahre später fordert ein palästinensischer Pfarrer dasselbe und klagt an:

„Wer schweigt, ist Mittäter“. https://www.youtube.com/watch?v=myoqdguyG84

Es ist derzeit nicht einfach, aus Jerusalem nach Bethlehem und nach Beit Sahour zu fahren, um Pfarrer Munther Isaac zu treffen. Immer wieder steht man vor Beton-Blöcken oder hermetisch geschlossenen Schranken, die einem am Weiterfahren hintern. Aber nach mehreren Versuchen sind wir in Bethlehem angekommen, wo Pfarrer Munther an der evangelischen Weihnachtskirche mitten in Bethlehem und zusätzlich an der evangelisch-lutherischen Kirche in Beit Sahour zuständig ist. An diesem Samstag treffen wir ihn in Beit Sahour.

Munther Isaac wurde weltberühmt mit seiner Weihnachtspredigt 2023, in der er die Welt, vor allem die christliche Welt, anklagt wegen ihres Schweigens zu Gaza. Die Predigt endet mit dem Satz, den er seinen Zuhörer und Zuschauern regelrecht einhämmert durch immer neue Wiederholungen:

„Diese Botschaft ist unsere Botschaft an die Welt von heute, und sie lautet einfach so:

Dieser Völkermord muss jetzt aufhören.“

Er wird sehr deutlich und hält mit seiner Kritik nicht zurück. Der Westen inklusive der westlichen Kirchen, so Pfarrer Munther, unterstützt Israels Völkermord auf allen Ebenen: militärisch durch immer neue Waffenlieferungen, finanziell mit ununterbrochenen Zahlungen und schließlich ideologisch. Grund sind – und wir sprechen ausführlich darüber –  der westliche Kolonialismus in neuer Form, der Rassismus gegenüber allen Nicht-Weißen, also „white supremacy“,  und die unverbrüchliche Unterstützung einer jeden israelischen Regierung und ihrer jeweiligen „Politik“ gegenüber den Palästinensern. Und diese „Politik“ besteht aus Siedlerkolonialismus und ethnischer Säuberung und konstituiert ein Apartheid-System.

Eben dagegen kämpft der Pfarrer, der sich selbst als „arabischer palästinensischer Christ“ definiert: in seinen Predigten, in Vorträgen per Zoom und auf Reisen, in den vielen Büchern, die er schon geschrieben hat. Aktiv ist er nicht nur individuell-persönlich, sondern vor allem in zwei „Organisationen“:

Da ist an erster Stelle „Kairos Palästina“ zu nennen, das 2009 gegründet wurde (siehe dazu Brief aus Jerusalem zu Abuna Atallah Hanna):  »A Moment of Truth« (Ein Moment der Wahrheit). Kairos Palästina baut auf den Erfahrungen Südafrikas auf, wo 1985 die erste Kairos-Initiative entstand.

https://www.sahistory.org.za/sites/default/files/archive-files3/boo19860000.026.009.354.pdf

Nicht zuletzt dieser christliche Widerstand beendete den Kampf dort gegen Rassismus, gegen die Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung und gegen das Apartheidregime. Ziel war die Herstellung von Gerechtigkeit und der Aufbau einer Demokratie für alle.

Genau dies sind auch die Ziele von Kairos Palästina. Kairos Palästina betrachtet sich nicht als politische Bewegung, vielmehr baut es auf den biblischen Texten auf. Es spricht die Christen in aller Welt in der Sprache an, die sie kennen: in der Sprache des Evangeliums. Es vermittelt eine im Westen oft geflissentlich übersehene Tatsache, dass nämlich Palästina das Land ist, in dem Jesus die erste christliche Gemeinde gründete. Gleichzeitig kommuniziert es eine zentrale Botschaft, dass es in eben diesem Land um die gerechte Sache eines Volkes geht, das endlich in Frieden und Freiheit auf der Grundlage von Gerechtigkeit leben möchte.

Kairos Palästina ist aktiv in Palästina selbst und vor allem international. Delegationen der Gruppe nehmen weltweit an Konferenzen teil, vor allem an kirchlichen Konferenzen, z.B. zuletzt am Weltkirchenrat 2022 in Karlsruhe.

Auch Pfarrer Isaac war dort und ist bis heute einigermaßen entsetzt über die offiziellen deutschen Positionen: extrem einseitig auf der Seite Israels, ungeachtet der israelischen Besatzung über die Palästinenser und durch schlichtes Ausklammern der Realität von Siedlerkolonialismus und Apartheid. Die Mitglieder von Kairos Palästina in Deutschland waren der einzige Trost für Pfarrer Munther und die gesamte palästinensische Delegation in Karlsruhe. Seinen Freund, einen unerschrockenen Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit, Professor Ulrich Duchrow, hebt er dabei hervor. Duchrow lasse sich durch niemanden und nichts mehr einschüchtern. Wie die anderen Mitglieder von Kairos Palästina ist auch Pfarrer Munther viel unterwegs und besucht Kirchengemeinden weltweit, um vor Ihnen über die Lage in Palästina und insbesondere die Lage der Christen dort zu reden.

Inzwischen hat Kairos Palästina Partnerorganisationen überall neben Deutschland u.a. in der Schweiz und in den USA. Munther Isaac betrachtet sich als zweite Generation von Kairos Palästina und nennt Abuna Atallah Hanna und Pfarrer Mitri Raheb als die Gründer und die erste Generation.

https://www.kairospalestine.ps/index.php/about-kairos/global-kairos,

Die zweite Bewegung, in der er sehr aktiv ist und die er für besonders wichtig hält, ist

Sabeel oder präziser „das ökumenische Zentrum von Befreiungstheologie“, also ein palästinensisches Beispiel der in Lateinamerika entstandenen Befreiungstheologie.

Sabeel zielt ab auf theologische Befreiung durch den christlichen Glauben im Alltagsleben all derer, die unter Besatzung, Gewalt, Unrecht und Diskrimination leiden. Sie betrachten sich als palästinensische Christen, die inspiriert sind durch das Leben und die Lehre von Jesus Christus, der immer auf der Seite der Unterdrückten stand. Sie engagieren sich für Gerechtigkeit und versuchen, Frieden zu schaffen.

https://sabeel.org

Sehr wichtig ist für Sabeel (gegründet 1987 vom Jerusalemer Pfarrer Naim Ateek, einem Anglikaner, mit seinem Buch aus dem Jahre 1989: „Justice and only Justice. A Palestinian Theology of Liberation“) die ökumenische Einheit aller christlichen Gemeinden in Palästina und gleichzeitig die enge Kooperation mit den palästinensischen muslimischen Gemeinden.

(Bild von Webseite Sabeel mit dem ehemaligen katholischen Kardinal Michel Sabah)

Auch Sabeel hat inzwischen weltweit Partnerorganisationen. Sabeel Nordamerika (Friends of Sabeel – North America (FOSNA) hat übrigens die Predigt von Munther Isaac in der Riverside Church in New York am 14. August organisiert.  Beide Organisationen unterstützen die gewaltlose Initiative BDS: Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen.

In Europa, vor allem in Deutschland und speziell in der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) treffen sie da auf massive Kritik, ja offene Ablehnung. Selbst jeder Dialog, jede Auseinandersetzung über BDS wird abgeblockt. Und dann folgt die Verleumdung der palästinensischen Christen mit der pauschal-billigen Beschuldigung, sie seien Anti-Semiten.

Gerade den deutschen Christen… aber ähnlich auch den Christen in anderen europäischen Staaten und in den USA… wird offensichtlich nicht bewusst, wie sie die Palästinenser von oben herab behandeln. Und wie oft in Deutschland, nicht nur bei Christen, geht man davon aus, dass man grundsätzlich alles besser weiß. Pfarrer Munther klagt an, dass die offizielle Kirche sich anmaßt, den palästinensischen Christen theologische Nachhilfe zu geben, ja, ihnen zu „erklären“, wie sie ihre Unterdrückung durch den Zionismus und den israelischen Siedlerkolonialismus „verstehen“ müssen.

Während der derzeitige US-Präsident Joe Biden sich offen als Zionist bekennt, sind die Deutschen, nicht nur Regierung und etablierte Medien, auch die offizielle Kirche, praktisch Zionisten in ihrer Politik, ihrem Handeln und in ihrer Ideologie. Das war schon über die Jahre hin unerträglich für Palästinenser. Seit dem Beginn des Krieges gegen Gaza, seit Völkermord und erbarmungslose Zerstörung Gaza zur Hölle gemacht haben, sind palästinensische Christen wie Munther Isaac, sind Kairos Palästina und Sabeel nicht mehr bereit, dies stillschweigend hinzunehmen.

Und die Welt hört sie, muss sie anhören, nicht zuletzt in den Predigten von Pfarrer Munther.

Aber dieser klagt und schließt mit ersichtlichem Entsetzen: wir reden und schreiben ununterbrochen gegen den Krieg, gegen den Völkermord, fordern zumindest einen Waffenstillstand: aber bis heute sind wir gescheitert. Die israelische Armee kann ihren Völkermord ungehindert weiterführen, 24 Stunden live auf Bildschirmen und im Internet. Die Waffen schweigen nicht. Und die Welt und die Kirchen schauen zu!

Wer ist Munther Isaac?  

Er stammt aus Beit Sahour südlich von Jerusalem, der direkten Nachbarstadt zu Bethlehem. Nach dem Schulabschluss studierte er Civil Engineering an der Universität Birzeit und schloss mit einem Bachelor in Ingenieurswissenschaften ab. Aber dann kam der große Einschnitt auf seinem Lebensweg. Er entschied sich für ein Studium der Theologie und erwarb einen Magister vom Westminster Theologischen Seminar in Philadelphia in den USA. Seinen Doktor machte er in Oxford mit der Dissertation: „A Biblical Theology of the Promised Land”.

Er ist heute Pfarrer und betreut, wie schon oben angeführt, die evangelischen Gemeinden in Bethlehem und Beit Sahour. Sonntags muss er gleich zwei Sonntagspredigten halten. Die erste um 9 Uhr in Beit Sahour, die zweite um 10.30 in Bethlehem.

Er lehrt außerdem am Bethlehem Bible College. Schließlich zeichnet er verantwortlich für die Konferenzen „Christ at the Checkpoint”, die international hochgeschätzt und sehr einflussreich sind.  https://christatthecheckpoint.bethbc.edu/small-documentaries/

Neben seiner Arbeit als Pfarrer ist er sehr engagiert, schreibt und publiziert fast ununterbrochen.

Der Berliner AphorismA Verlag hat 2021 sein Buch „On the other Side of the Wall“ ins Deutsche übersetzt und herausgebracht: „Die andere Seite der Mauer“

https://www.lehmanns.de/shop/geisteswissenschaften/57169127-9783865750891-die-andere-seite-der-mauer

Seit dem Beginn des Völkermordes in Gaza ist er außerdem international in immer neuen Zoom-Vorträgen zu hören. Und er versucht zu reisen, wann immer das möglich ist, um die Botschaft aus Palästina von Völkermord, Siedlerkolonialismus, ethnischer Säuberung und Apartheid zu verbreiten. Vor allem aber, um Druck aus den internationalen Kirchengemeinden und Zivilgesellschaften aufzubauen gegen all die Regierungen im Westen, die bis heute den Völkermord unterstützen und mittragen.

Panorama of Jerusalem Old City with Church of the Holy Sepulchre, Israel

Erzbischof Theodosius von Sebastia am Griechisch-Orthodoxen Patriarchat in Jerusalem

„Abuna Hanna Atallah“

Interview am 11. Sept 2024 im Ambassador Hotel in Jerusalem

Von Helga Baumgarten

„Ich bin Christ und Palästinenser. Ich halte fest an meinem Glauben, der Liebe zu meiner Kirche und ebenso halte ich fest an der Liebe zu meinem Volk. Genau wie ich meiner Kirche zutiefst verbunden bin, bin ich meinem Volk und unserer „Sache“ zutiefst verbunden.“ So stellt sich Erzbischof Theodosius von Sebastia, der im Volksmund schlicht „Abuna“ (unser Vater) Hanna Atallah genannt wird, mir vor. Am 24. Dezember 2005 wurde er in der Grabeskirche in Jerusalem zum Erzbischof ordiniert. Er ist erst der zweite Palästinenser in der Geschichte der griechisch-orthodoxen Kirche, der dieses Amt bekleidet.

Er ist eben aus Ramallah zurückgekehrt. Dort sprach er vor 150 Schülern im Scharek Jugendforum, das Jugendliche dafür mobilisiert, dass sie sich aktiv in ihre Gesellschaft einbringen. Sein Tag begann sehr hart: drei Stunden brauchte er, bis er in Ramallah angekommen war. Grund war ein Anschlag (so die israelische Version) mit einem Tanklastwagen bzw. ein Unfall (so die palästinensische Version) an der Abzweigung nach Ramallah nordöstlich von Jerusalem. Ein Soldat wurde getötet, der Lastwagenchauffeur wurde angeschossen und schwerverletzt ins Krankenhaus gebracht. Die Rückfahrt verlief nicht viel besser. Aber Abuna wollte unseren Termin einhalten, ehe er weiterfahren musste zur nächsten Verpflichtung in Bethlehem.

Allein die Fahrt nach Ramallah und zurück zeigt, dass der Erzbischof ohne jegliche Privilegien – anders als die palästinensische Regierung in Ramallah, die sulta, angefangen von Präsident Mahmud Abbas, aber auch anders als alle in Palästina aktiven internationalen NGOs – reist. Darauf angesprochen meint er, er sei ein Palästinenser wie alle anderen Palästinenser auch. Er betrachte sich weder als besser noch als bevorzugt wegen seiner Stellung in der Kirche. Ganz im Gegenteil: er müsse und wolle alles mit seinen Landsleuten teilen.

Zusammen mit anderen Christen sowie mit säkularen Menschen hat er 2009 die Bewegung »Kairos Palästina« mit der Veröffentlichung des Dokuments »A Moment of Truth« (Ein Moment der Wahrheit) gegründet. Kairos Palästina baut auf den Erfahrungen des theologischen Briefes zu Südafrika (1985), dem ersten Kairos-Dokument,

auf und dem letztendlich erfolgreichen Kampf dort gegen Rassismus, gegen die Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung und gegen das Apartheidregime. Ziel war die Herstellung von Gerechtigkeit und der Aufbau einer Demokratie für alle.

https://www.sahistory.org.za/sites/default/files/archive-files3/boo19860000.026.009.354.pdf

Genau dies sind auch die Ziele von Kairos Palästina. Kairos Palästina ist nicht politisch, vielmehr baut es auf den biblischen Texten auf. Es spricht die Christen in aller Welt in der Sprache an, die sie kennen: in der Sprache des Evangeliums. Es vermittelt eine im Westen oft geflissentlich übersehene Tatsache, dass nämlich Palästina das Land ist, in dem Jesus die erste christliche Gemeinde gründete. Gleichzeitig kommuniziert es eine zentrale Botschaft, dass es in eben diesem Land um die gerechte Sache eines Volkes geht, das endlich in Frieden und Freiheit auf der Grundlage von Gerechtigkeit leben möchte.

Kairos Palästina ist aktiv in Palästina selbst und vor allem international. Delegationen der Gruppe nehmen weltweit an Konferenzen teil, vor allem an kirchlichen Konferenzen, z.B. zuletzt am Weltkirchenrat 2022 in Karlsruhe. Sie besuchen regelmäßig interessierte Gemeinden in Europa und in den USA. Und inzwischen gibt es Partnerorganisationen überall

 z.B. in Deutschland, in der Schweiz und in den USA.

https://www.kairospalestine.ps/index.php/about-kairos/global-kairos,

Hier sollte der Schwerpunkt gesetzt werden, meint der Erzbischof. Er kritisiert, dass Palästinenser oft im Selbstgespräch aktiv sind, anstatt sich nach außen zu wenden, um die notwendige Unterstützung zu bekommen. Auf meine kritische Nachfrage zu den eher negativen und vor allem pro-israelischen Positionen im Norden, antwortet er sehr diplomatisch: Sicher könnte die Unterstützung durch die Kirchen international besser sein, nicht nur in Worten, sondern vor allem in Taten. Aber er verbindet das gleich wieder mit Selbstkritik: „Wir müssen unsere Sache besser kommunizieren.“

Dann wechseln wir zum problematischen Thema der Auswanderung von Christen aus Palästina. Atallah Hanna sieht darin eine der größten Herausforderungen für die christlichen Gemeinden vor Ort, aber auch und vielleicht mindestens ebenso für die palästinensische Gesellschaft. Die Zahl der Christen in Palästina ist inzwischen dramatisch zurückgegangen.

Er beginnt mit dem Beispiel Gaza. Vor Beginn des Krieges und des Völkermordes in Gaza im Oktober 2023 hätten noch 1.000 Christen dort gelebt. In den ersten Wochen, als man noch aus Gaza herauskam, hätten mindestens 400 davon ihre Heimat verlassen. Damit existieren in Gaza gerade noch 600 Christen: in ihrem Leben bedroht wie alle Menschen dort.

Dramatisch sieht er auch die Situation in der Jerusalemer Altstadt. Viel zu viele Christen könnten die Lage dort nicht mehr ertragen: Angriffe durch extremistische Siedler, ökonomische Probleme und die ständige Herausforderung der Mobilität angesichts der vielen Straßensperren.

Grundsätzlich seien aber alle christlichen Gemeinden und alle historisch christlichen Orte, wie z.B. Bethlehem oder Ramallah, betroffen. Viele Christen würden sich für Auswanderung entscheiden, vor allem wegen der immer unerträglich werdenden Besatzung und infolge ökonomischer Benachteiligungen.  Er meint, dass es die Christen selbst seien, die an erster Stelle dagegen kämpfen müssten. Aber dazu brauchen sie die Unterstützung gerade auch von Muslimen. Der Verlust von Christen, so Abuna, sei ein Verlust für Palästina und für alle Palästinenser. Schließlich würden damit Muslime ihre Nachbarn, ihre Freunde, ihre Partner z.B. in Unternehmen verlieren.

Während Christen und Muslime unter ständigen Angriffen in der Jerusalemer Altstadt zu leiden haben, stehen derzeit die Armenier und die Aktionen israelischer extremistischer Siedler gegen sie – unterstützt von der rechtslastigen Stadtverwaltung von Jerusalem – im Mittelpunkt. Die Siedler wollen große Teile des armenischen Viertels konfiszieren. Mit einer großen Delegation stattete Abuna den bedrohten Armeniern einen Solidaritätsbesuch ab. Aber dies ist ein Thema für einen weiteren Brief aus Jerusalem.

Immer wieder betont er, dass die Lösung für die palästinensische Sache überfällig ist: nicht eine Lösung à la Netanjahu, der alles tut, um die Palästinenser los zu werden und der Landkarten zeigt, auf denen nur Israel zu sehen ist: „from the river to the sea.“ Jeder Mensch, egal wer er ist und wo er lebt, muss deshalb, so Abuna, die Palästinenser unterstützen. Denn es geht um Freiheit für Menschen, die schon viel zu lange jeglicher Rechte beraubt sind.

Woher kommt Abuna Atallah Hanna und wie gelangte er an die Spitze der palästinensischen griechisch-orthodoxen Gemeinde?Er stammt aus dem Dorf Rameh in Galiläa, gehört also zu den Palästinensern in Israel und hat einen israelischen Reisepass.Nach seiner Schulbildung in Rameh geht er nach Jerusalem, um dort Griechisch zu lernen. Sein Theologiestudium macht er im griechischen Saloniki. 1991 kehrt er nach Jerusalem zurück, wo er den Namen Theodosios erhält. Schon 1992 wird er als Priester ordiniert. Außerdem wird er zuständig für den palästinensischen Teil des Patriarchats und spricht in dessen Namen in der Öffentlichkeit. 2001 schließlich wird er zum offiziellen Sprecher des Griechisch-Orthodoxen Patriarchats in Jerusalem ernannt.  Wegen seines Engagements für die Rechte der Palästinenser, wegen seiner unerschrocken-klaren Kritik an der Besatzung, wird er sehr schnell zum Dorn im Auge Israels. Immer wieder wird er verhaftet und der Aufwiegelung angeklagt.Im Rahmen einer palästinensischen Delegation zum Weltkirchenrat in Genf redete er im Oktober 2000 vor dem UN Menschenrechtsrat: „Die palästinensischen Christen leiden, weil sie Palästinenser sind und in ihrer Heimat Palästina bleiben wollen.“ Er klagte Israel an wegen „ethnischer Säuberung gegen Araber, Muslime und Christen. Jeder meint, das sei ein Konflikt zwischen Arabern und Israelis. Keineswegs, es ist eine Besatzung Israels über die Palästinenser.“

Im Oktober 2001, mitten in der zweiten Intifada, nahm er an einem Marsch christlicher und muslimischer Führer von Jerusalem zum Militärkontrollpunkt vor Bethlehem teil als Protest gegen Israels Angriffe auf religiöse Stätten. Im selben Monat forderte er vom Menschenrechtsrat in Genf, dass dieser die Palästinenser von den israelischen Massakern retten und Druck ausüben müsse, damit die Blockade palästinensischer Städte und Dörfer aufgehoben wird. Im März 2002 wird er an der Allenby Brücke aus Jordanien kommend stundenlang festgehalten. Im August schließlich wird er in der Altstadt in Jerusalem verhaftet und zur Moskobiyeh gebracht. Man klagte ihn an wegen des Verdachts von Kontakten mit terroristischen Organisationen und dem illegalen Besuch von feindlichen Staaten (Syrien und Libanon). Das Verhör dauerte fünf Stunden. Die Antwort von Theodosius war sehr einfach: er muss Syrien und Libanon regelmäßig besuchen, um an religiösen Konferenzen und am inter-religiösen Dialog teilzunehmen. Bei diesen Reisen benutze er seinen vom Vatikan ausgestellten Pass. Israels konfiszierte daraufhin sowohl seinen israelischen als auch seinen Vatikan-Pass.

Theodosius protestierte, wo immer er konnte: in der Presse, in Konferenzen und bei öffentlichen Ansprachen. Er sprach im Klartext von einer Diffamierungs-Kampagne. Israel versuche, die palästinensische Sache als einen jüdisch-muslimischen Konflikt darzustellen. In Wirklichkeit aber wollten sie die kritischen christlichen Stimmen zum Schweigen bringen.

Seine Antwort darauf: „Wir haben immer darauf bestanden, dass die Kirche in Palästina allen Palästinensern dient, denn sie ist eine Kirche für die Menschen. Und es ist eine Kirche mit tiefen Wurzeln in diesem Land und in der dort lebenden Gesellschaft von arabisch-palästinensischen Christen und Muslimen.“ Abschließend wies er darauf hin, dass in Syrien über eine Million griechisch-orthodoxer Christen leben, im Libanon mehr als eine halbe Million. Kontakt und Betreuung dieser Glaubensbrüder sei notwendig.

Nach der Entlassung von Patriarch Irenaios, der des Verkaufs von Eigentum der Kirche an israelische Siedler angeklagt wurde, wird er vom neuen Patriarchen Theophilos III am 24. Dezember 2005 in der Grabeskirche in Jerusalem zum Erzbischof von Sebastia am griechisch-orthodoxen Patriarchat in Jerusalem ordiniert. Er ist erst der zweite Palästinenser in der Geschichte der griechisch-orthodoxen Kirche, der dieses Amt bekleidet.

„Meine Botschaft an die Welt, so schließt er unser Gespräch, ist eine Botschaft der Liebe, ein Appell für Frieden, für die Unterstützung meines palästinensischen Volkes. Es geht um die Verteidigung meines unterdrückten und gepeinigten Volkes. Es geht um das Ende des Völkermordes in Gaza. Es ist eine Botschaft gegen Rassismus, gegen Hass, gegen das Böse, für Menschlichkeit und Brüderlichkeit. Diese Botschaft zu vermitteln, immer und immer wieder, ist meine Pflicht als Christ und als Mensch.“

Panorama of Jerusalem Old City with Church of the Holy Sepulchre, Israel

von Helga Baumgarten

Dr. E’krima Sabri, Mufti und Prediger an der Aqsa-Moschee, hat sich noch nie gescheut, Unrecht klar und furchtlos zu benennen und zu kritisieren. Er hat immer darauf bestanden, dass die Aqsa-Moschee, der haram al-scharif in Jerusalems Altstadt, den palästinensischen Muslimen gehört. Die bis dato letzte Herausforderung kam von Israels Polizeiminister Itamar Ben Gvir, einem überführten Rassisten, als dieser am 26. August mit Hunderten von jüdisch-israelischen Extremisten auf den al-Aqsa Compound eindrang. Vor der israelischen Presse verkündete er, dass jüdische Gläubige das Recht zum Gebet und zum Bau einer Synagoge dort hätten. Er bestand darauf, dass eine neue israelische Politik zum Gebet von Juden auf dem Tempelberg gültig sei. Und er setzte noch ein i-Tüpfelchen auf seine Provokation für alle palästinensischen Muslime: „Wenn ich frei wäre, meine Wünsche durchzusetzen, hätten wir die israelische Fahne schon längst dort gehisst.“

https://www.haaretz.com/israel-news/2024-08-26/ty-article/.premium/ben-gvir-charts-explosive-vision-for-temple-mount-al-aqsa-compound/00000191-8dab-d8bf-a7f9-9fffd4540000

Dies steht in klarem Widerspruch zur israelischen Politik seit dem Juni-Krieg 1967. Der damalige Verteidigungsminister Moshe Dayan hatte gleich nach dem Krieg festgesetzt, dass der muslimische Waqf für den haram verantwortlich sei und dass der Status quo auf diesem für Muslime heiligen Ort erhalten werden müsse. Die israelische Regierung beschloss außerdem, dass Juden, die dort beten wollten, von der Polizei an die Westmauer („Klagemauer“) verwiesen werden.

Seit Jahren sind aber jüdische “Tempelberg-Extremisten“ aktiv. Der erste war Gershom Salomon, der in den siebziger und achtziger Jahren eine winzige Gruppe von „Temple Mount Faithful“ (die Getreuen des Tempelbergs) leitete, die einmal jährlich versuchte, den haram zu betreten, aber immer von der Polizei daran gehindert wurden. Inzwischen sind es Tausende, die zu den Tempelberg-Extremisten gehören und dort nicht nur beten, sondern auch den Tempel wiederaufbauen wollen.

https://www.haaretz.com/israel-news/2024-04-24/ty-article-magazine/.premium/the-israeli-extremists-who-want-to-rebuild-the-temple-and-the-ministers-who-back-them/0000018f-0f34-d97f-abcf-efbd07d50000

Die offizielle israelische Reaktion auf Ben Gvir wurde am klarsten von Verteidigungsminister Gallan artikuliert: „Den Status quo auf dem Tempelberg zu untergraben, ist unnötig und unverantwortlich. Ben Gvirs Aktionen bringen Israel in Gefahr.“ Allerdings hat die Regierung Netanyahu schon seit Jahren nichts dagegen unternommen, dass der geltende Status quo stillschweigend aufgeweicht wurde. Innenminister Moshe Arbel von der religiösen Shas-Partei forderte dagegen klar, dass Ben Gvir in seine Grenzen verwiesen werden müsse.

Am deutlichsten formulierten führende jüdischer Rabbiner ihre absolute Ablehnung:

„Wir glauben alle an einen Gott und wollen Frieden zwischen den Nationen. Wir dürfen es Extremisten nicht erlauben, uns zu führen“, so Israels ehemaliger Oberrabbiner Yitzhak Yosef, dem sich andere Oberrabbiner anschlossen. Fünf von ihnen veröffentlichten sogar ein Video, in dem sie alle Besuche von Juden auf dem Tempelberg/al-Aqsa verurteilten: „… diese Minister repräsentieren nicht das Volk Israel… Die meisten Juden in Israel und überhaupt weltweit würden nicht auf den Tempelberg gehen…“.

https://www.haaretz.com/israel-news/2024-08-15/ty-article/.premium/israels-former-chief-rabbi-criticizes-ben-gvirs-temple-mount-visit/00000191-5699-db91-a7dd-779981600000

Zwei Zeitungen der haredim (ultraorthodoxe Juden), Yated Ne’eman und Haderech, veröffentlichten Anzeigen, in dem sie Ben Gvirs Eindringen auf den haram scharf verurteilten. „Seit Generationen bestimmt die jüdische halacha, dass es Juden verboten ist, auf den Tempelberg zu gehen“. Eine der Anzeigen auf Seite eins war sogar sowohl auf Hebräisch als auch auf Arabisch!

https://www.haaretz.com/israel-news/2024-08-27/ty-article/two-ultra-orthodox-newspapers-condemn-ben-gvirs-temple-mount-al-aqsa-compound-policy/00000191-9343-df0a-ab9f-f34b8ed00000

E’krima Sabri formulierte in einem Interview auf al-Jazeera sehr eindringlich seine Position: al-Aqsa ist ein heiliger Ort für den Islam, für alle Muslime, vor allem für palästinensische Muslime. Allein die Idee, dass dies von irgendeiner Seite bestritten oder herausgefordert werden könnte, ist Anathema. Bei meinem Besuch in seiner Wohnung in Ost-Jerusalem am vergangenen Mittwoch (4. September) analysierte er Ben Gvirs „Angriff“ auf al-Aqsa, wie er formulierte: Ben Gvir sei davon ausgegangen, dass die Palästinenser, die Muslime in der arabischen Region, in einer Position der Schwäche seien. Aus seiner vermeintlichen Position der Stärke heraus habe er den haram ohne die, laut bestehender Abmachungen, notwendigen Vertreter der waqf betreten. Er sei als Angreifer gekommen und nicht als Gast, der sich an die Regeln hält. Seine Erklärungen vor der Presse seien in sich widersprüchlich, da er das Gesetz einerseits, seine Interpretation göttlichen Gebots andererseits, als Rechtfertigung benutzt habe. Der Mufti wies deshalb Ben Gvirs „Angriff“ scharf zurück. Die Realität sei unzweideutig: al-Aqsa, al-haram al-scharif, sei ein heiliger Ort für den Islam. Er stehe damit über menschlichem Gesetz. E’krima Sabri erläuterte die extreme Situation, die den palästinensischen Muslimen durch die israelische Besatzung, insbesondere durch die derzeitige rechtsextreme Regierung, aufgezwungen wird. Gläubige werden immer wieder daran gehindert, zum Gebet den haram al-scharif zu betreten. Deshalb gibt es inzwischen eine religiöse Anordnung (fatwa), dass alle Muslime an der Stelle, wo sie von der Polizei am Weitergehen gehindert werden, beten sollen. Dieses Gebet ist dem Gebet in der Aqsa-Moschee gleichgestellt.

Nur wenige Tage zuvor, am 2. August, hatte E’krima Sabri während des Freitagsgebetes für die Seele des ermordeten Ismail Haniyeh, Vorsitzender des Hamas Politbüros, gebetet.

Die israelische Reaktion ließ nicht auf sich warten. Der Mufti war kaum in seiner Wohnung angekommen, als ein Großkommando von Geheimdienst, Polizei und Grenzpolizei in Armeeuniform dort auffuhr. Er wurde verhaftet und nach Westjerusalem in die Moskobiyeh, das zentrale Jerusalemer Gefängnis, gebracht. Man verhörte ihn, klagte ihn der Unterstützung des Terrorismus und der Aufhetzung an. In einem administrativen Beschluss der Polizei, der schließlich nach fünf Stunden erfolgte, wurde ihm das Betreten des haram al-scharif für sechs Monate verboten.

Die Solidarität, die er erhielt, war überwältigend:

Arabische Knesset-Abgeordnete wie Ahmed al-Tibi und Ayman Odeh, ehemalige Knesset-Abgeordnete wie Mohammed Barakeh ebenso wie Bürgermeister der palästinensischen Städte und Dörfer in Israel besuchten ihn. Zu den Besuchern gehörte auch Atallah Hanna, Erzbischof von Sebastia im Griechisch-Orthodoxen Patriarchat in Jerusalem. Der algerische Präsident Abd al Majid Tabbun rief ihn an, gefolgt vom türkischen Präsidenten Erdogan.

Ich fragte ihn nach der Reaktion aus Amman – schließlich ist Jordanien offiziell für al-Aqsa zuständig.  Der jordanische Außenminister habe Ben Gvir zwar öffentlich kritisiert, E’krima Sabri aber nicht kontaktiert.

„Und wer hat sie aus Ramallah angerufen?“, fragte ich abschließend.

E’krima Sabri antwortete mit fast süffisantem Lächeln: „Es scheint, dass die Nachricht dort nicht angekommen ist!“ Einen Tag vor unserem Treffen, also am 3. September, wurde der Scheich ein weiteres Mal von der Polizei zur Moskobiyeh gebracht zu einem erneuten Verhör. Wieder ging es um sein Gebet für Ismail Haniyeh. Der Scheich antwortete stereotyp auf die Fragen der Polizei: ich muss und kann im haram für jeden Muslim beten.Nach kurzer Zeit wurde er wieder im Polizeiauto nach Hause gebracht. Ob er in Ruhe gelassen wird, bezweifelt er allerdings.

Wer ist Akrima Sabri?

Seit 1973 ist er Scheich (khatib, also Prediger) in der Aqsa-Moschee. Yasir Arafat ernannte ihn 1994 zum Großmufti von Jerusalem. Diese Position behielt er bis Juli 2006. Nach der Ermordung von Arafat, setzte ihn dessen Nachfolger Mahmud Abbas (im Januar 2006 zum Präsidenten der Palästinensischen Autorität (sulta) gewählt) ab. Grund war wohl seine enorme Popularität, nicht zuletzt auf der Basis seiner klar formulierten Kritik an der israelischen Besatzung und deren Repressalien gegen Muslime auf dem haram.  Vor der Beerdigung Arafats in Ramallah hatte der Scheich eine kleine Tasche mit Erde aus einer Ecke des haram gefüllt. Als er vor dem Leichnam Arafats stand, bedeckte er diesen mit der heiligen Erde aus Jerusalem. Schließlich war es Arafats Wunsch gewesen, auf dem haram beerdigt zu werden. Nun begleitete ihn wenigstens Erde vom haram, dank der Aktion von E’krima Sabri.

Heute ist er khatib, also Prediger in al-Aqsa, und Präsident des Obersten Islamischen Rates.

Über die Jahre gab es immer wieder regelrechte israelische Angriffe gegen die Aqsa-Moschee und gegen Muslime auf dem haram. Das begann 1968 mit der Brandstiftung gegen al-Aqsa, als E’krima Sabri noch nicht in Jerusalem predigte. Bei allen anderen gewaltsamen Aktionen seitens Israels war er präsent, z.B. am 8. Oktober 1990, als die Polizei 24 Palästinenser erschoss und zahllose Weitere verletzte, oder im September 2000, als Ariel Sharon auf den haram eindrang und damit die Zweite Intifada auslöste. 2017 schließlich, als Israel den gesamten haram für fast zwei Wochen abriegelte und die Palästinenser daran hinderte, dorthin zum Gebet zu gehen, wurde er vor bab al-asbat (dem Löwentor) durch eine Kugel der Polizei am Fuß und am Rücken verletzt. Er war einer von Zehntausenden von palästinensischen Muslimen, die gegen diesen unglaublichen Eingriff in die religiöse Freiheit in Jerusalem protestierten. Sabri wurde im Krankenhaus medizinisch versorgt und schloss sich sofort wieder den Demonstranten an. “Als wir die enorme Gefahr für al-Aqsa erkannten, nicht zuletzt nachdem der Minister für interne Sicherheit Gilad Eldan arrogant die israelische Souveränität über den gesamten haram deklarierte, bildeten wir eine breite Koalition.“

„Obwohl die Menschen aus der Westbank daran gehindert wurden, nach Jerusalem zu kommen, waren ständig Tausende von Jerusalemern zum Protest-Gebet vor den Toren des haram…. Je brutaler uns die Israelis angriffen, desto mehr Leute schlossen sich uns an. …

Einen derartigen Massenprotest hatte es nie zuvor gegeben.“ Sabri konnte viele junge Menschen zur Teilnahme bewegen. Auch politische Führer, Akademiker und Aktivisten wurden mobilisiert. Ganz Jerusalem stand vereint hinter dem Scheich und sein Bestehen auf Einheit machte ihn noch populärer als er vorher schon war.

https://www.arabnews.com/node/1147561/middle-east

Diese jahrzehntelangen Erfahrungen machen E’krima Sabri stolz auf die Jerusalemer, stolz auf alle Palästinenser. Er betont, dass sie immer da sind, immer die ersten und die Wichtigsten bei jedem Protest, gerade auch heute angesichts von Völkermord, Zerstörungen des Siedlerkolonialismus und ethnischer Säuberung. Er moniert, dass die Unterstützung aus der arabischen und islamischen Welt nicht groß genug ist.  Aber abschließend würdigt er die enorme Solidarität, durchaus auch im Westen, von den USA bis Europa, für die Palästinenser, speziell auch seitens der Studenten an den Universitäten weltweit.

Am Ende unseres Gesprächs betont er noch einmal seine Philosophie:

Man darf seine Überzeugungen nicht aufgeben. Man muss unverbrüchlich an ihnen festhalten. Denn das Recht ist auf unserer Seite.

Panorama of Jerusalem Old City with Church of the Holy Sepulchre, Israel

Stoppt die koloniale Gewalt gegen die Palästinenser

(Law in the Service of Man)

Von Helga Baumgarten

Shawan Jabarin ist derzeit rund um die Uhr beschäftigt. Trotzdem ist er bereit – kurz vor der Abreise zu einem wichtigen Termin in Spanien – mir als ehemaliger Birzeiter Kollegin von seiner kostbaren Zeit zu geben. Wir treffen uns in den Büros von al-Haq im Zentrum des alten Ramallah, im ersten Stock einer der christlichen Schulen der Stadt. Al-Haq sammelt seit Beginn des Völkermordes in Gaza Informationen zur Verletzung des Völkerrechtes in Palästina, speziell in Gaza, aber auch in Ost-Jerusalem und in der Westbank. Diese Informationen werden weitergereicht an internationale Menschenrechtsorganisationen, an den Internationalen Gerichtshof und den Internationalen Strafgerichtshof.

Seit dem frühen Morgen des 28. August konzentriert sich al-Haq auf den verheerenden, zerstörerischen und blutigen Angriff der israelischen Armee auf den Norden der Westbank: Jenin, Tulkarm und Tubas und Nablus sowie Hebron und die Flüchtlingslager im Süden der Westbank. Bis heute wurden wohl 38 Menschen getötet, darunter 9 Minderjährige,

durch Drohnenangriffe und Heckenschützen der Armee, so der Haaretz Aufmacher am 6. September. Das Leben dort ist zum Stillstand gekommen. Die Armee hat alles abgeriegelt, selbst Krankenhäuser. Krankenwagen werden nicht durchgelassen, Familienväter können keine Nahrung für ihre Familien besorgen, die Infrastruktur ist weitgehend zerstört und es gab die ersten Anweisungen an die Bewohner des Flüchtlingslagers Nur Shams bei Tulkarm und des Flüchtlingslagers Jenin außerhalb der Stadt Jenin, das Lager zu evakuieren:

Gaza ist in der Westbank angekommen. https://www.alhaq.org/advocacy/23785.html   

Eine der letzten Interventionen von al-Haq, am 6. August, war ein Bericht an den ICC (gemeinsam mit zwei weiteren palästinensischen Menschenrechtsorganisationen (PCHR, also Palästinensisches Menschenrechtszentrum, und Al-Mezan Zentrum für Menschenrechte aus Gaza). Sie argumentierten, dass der ICC berechtigt ist zur Anklage gegen israelische Staatsangehörige wegen Verbrechen, die auf dem gesamten 1967 von Israel besetzten palästinensischen Gebiet verübt wurden. Die Osloer Verträge bilden keinen Hinderungsgrund zur vollen Ausübung der Jurisdiktion des Gerichtes. Das schließt auch die Ausstellung von Haftbefehlen gegen israelische Bürger und Politiker nicht aus.

Al-Haq wies mit aller Schärfe eine vorherige britische Intervention zurück, in der GB die Meinung vertrat, der ICC habe als Folge der Osloer Verträge keine Jurisdiktion über israelische Staatsbürger wegen Rechtsverletzungen in den palästinensischen Gebieten. https://www.alhaq.org/about-alhaq/7136.html Der Beschluss (Advisory Opinion) des Internationalen Gerichtshofes zur israelischen Besatzung über Westbank, Ost-Jerusalem und den Gaza-Streifen vom 19. Juli 2024 hat das unwiderruflich bestätigt. Er weist ausdrücklich darauf hin, dass die Besatzung nicht durch die Osloer Verträge aufgehoben wurde.186-20240719-sum-01-00-en.pdf

Entscheidend ist dabei Folgendes:

  • „Der ICJ kommt zum Schluss, dass Israels Politik und Praxis gegen internationales Recht verstoßen. Die Aufrechterhaltung dieser Politik und dieser Praxis sind ein illegaler Akt…“
  • „…die fortgesetzte Präsenz Israels im Besetzten Palästinensischen Territorium ist illegal…“
  • al-Haq nimmt diese Beschlüsse zur Grundlage seiner internationalen Interventionen, die das Ziel haben, die israelische Besatzung zu beenden.
  • Dabei stehen zwei Forderungen an vorderster Stelle:
  • Beendigung des Genozides in Gaza
  • Stopp der Gewalt und der ethnischen Säuberungen in Ost-Jerusalem und in der Westbank.

Shawan Jabarin geht davon aus, dass der Internationale Gerichtshof die eigentliche Arbeit zur Feststellung, ob Israel in Gaza Genozid verübt (nicht nur, wie im Januar festgestellt, dass es plausibel sei, Israels Aktionen in Gaza als Genozid zu bezeichnen) im Oktober 2024 aufnimmt. Er hofft – sehr optimistisch –  dass diese Arbeit nach etwa einem Jahr abgeschlossen sein wird.

Foto: Sami Darwish al-Kurd

Terrorismus-Beschuldigung durch Israel am 22.Oktober 2021 gegen sechs palästinensische Menschenrechtsorganisationen, darunter al-Haq

Jabarin kann sich das Lachen nicht verkneifen, als ich ihn darauf anspreche. Für ihn ist die Motivation Israels glasklar. Israel will um jeden Preis die Arbeit von Organisationen wie al-Haq verhindern. Al-Haq genießt weltweit einen ausgezeichneten Ruf. Die Berichte von al-Haq werden international wahrgenommen und geschätzt als verlässliche Informationen über Menschenrechtsverletzungen durch Israel, durch die Armee ebenso wie durch Siedler, in den Besetzten Gebieten, genauer im Staat Palästina, den 145 Staaten anerkennen, darunter inzwischen auch europäische Staaten wie zuletzt Norwegen, Spanien, Irland und Slowenien.

Al-Haq und an erster Stelle Jabarin trifft immer wieder verantwortliche Politiker und Staatschefs, um die Argumente von al-Haq zu kommunizieren.

UN-Menschenrechtsexperten in Genf forderten schon am 25. April 2022 Staaten und internationale Organisationen auf, die finanzielle Unterstützung der sechs Organisationen wiederaufzunehmen, da Israel keinerlei stichhaltige Beweise für seine Beschuldigungen vorgelegt habe. Deutschland und Österreich sind diesem Ruf nicht gefolgt, obwohl sowohl die EU als auch Deutschland als EU Mitglied keine Beweise von Israel erhalten haben.

Noch 2022 hat Österreich al-Haq den Bruno Kreisky Preis verliehen!

https://www.alhaq.org/advocacy/20191.html

Al-Haq wurde 1979 von den palästinensischen Rechtsanwälten Raja Shehadeh, Jonathan Kuttab und Charlie Shammas gegründet, also ganze 10 Jahre vor B’tselem. Das letzte Buch von Raja Shehadeh (2024), wurde inzwischen ins Deutsche übersetzt unter dem Titel:

Was befürchtet Israel von Palästina?: Von der Hoffnung auf einen gerechten Frieden.

Den englischen Titel veränderte der deutsche Westend Verlag, indem er hinzufügte: „Von der Hoffnung auf einen gerechten Frieden.“ Viel Hoffnung darauf hat Raja Shehadeh allerdings nicht angesichts des Völkermordes in Gaza. Und diese Auffassung teilt auch Shawan Jabarin.

Raja Shehadeh publizierte in den Jahren, als er al-Haq leitete, bis heute unverzichtbare Bücher. An erster Stelle ist hier zu nennen: „Occupier’s Law. Israel and the West Bank“. Es ist 1985 in einer ersten Auflage und 1988 in einer revidierten Auflage beim „Institute of Palestine Studies“ in Washington erschienen. Jonathan Kuttab ist nach wie vor im Aufsichtsrat von al-Haq. Er ist heute involviert in die Aktion von Mubarak Awad, der das Schiff „Handala“ mit Hilfsgütern nach Gaza bringen wird.

https://www.denia.com/de/llega-a-denia-el-handala-el-barco-de-la-flotilla-de-la-libertad-contra-el-genocidio-en-gaza

Mubarak Awad versuchte in den achtziger Jahren, die Philosophie Gandhis zur Gewaltlosigkeit in Palästina zu propagieren. Er wurde deswegen prompt von Israel ausgewiesen.

Foto:  Sami Darwish al-Kurd

2019 feierte al-Haq das vierzigjährige Jubiläum seiner Arbeit.

Diese Arbeit können Interessierte im Detail nachlesen in der Publikation von Lynn Welchman: „A Global History of the First Palestinian Human Rights Organization“. Das Buch wurde 2021 von der University of California Press publiziert. Es ist offen zugänglich und kann frei heruntergeladen werden.

https://webfiles.ucpress.edu/oa/9780520976900_EPUB.epub

Ein Artikel über al-Haq kann nicht enden ohne über Khalida Jarrar, derzeit in mörderischer Einzelhaft in Israel, zu schreiben. Ihre Tochter Soha arbeitete seit 2017 bei al-Haq und verstarb völlig unerwartet und viel zu früh – sie war gerade 30 -. Khalida Jarrar war zu diesem Zeitpunkt, 2021, wieder einmal in israelischer Haft. Ihre Rechtsanwälte beantragten die Erlaubnis, dass die Mutter an der Beerdigung der Tochter teilnehmen könnte. Israel lehnte ab.  Al-Haq intervenierte mit einer Eilaktion durch Appelle an viele Staaten und vor allem an das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, um die Freilassung auf der Basis humanitärer Gründe zur Teilnahme an der Beerdigung zu erreichen.

https://www.alhaq.org/advocacy/18621.html

Auch diese Intervention stieß auf menschenverachtende Ablehnung durch das israelische Gefängnis-Regime. Heute müssen wir um das Leben von Khalida Jarrar fürchten.

Al-Haq teilt sich die Arbeit zu palästinensischen Gefangenen inzwischen mit ad-Dameer und die Organisation hat gerade einen Appell zur Lage von Khalida Jarrar veröffentlicht:

https://www.addameer.org/news/5391

„Die Lage ist bedrohlich. Aber wir werden weiter Widerstand leisten. Das Recht ist auf unserer Seite.“

Mit diesen Worten beendete Shawan Jabareen unser Gespräch.

Panorama of Jerusalem Old City with Church of the Holy Sepulchre, Israel

B’tselem berichtet über Israels systematische Politik des Missbrauchs und der Folter gegen palästinensische Gefangene

Von Helga Baumgarten

B’tselem begann die Arbeit an diesem Grauen erregenden Bericht „Willkommen in der Hölle“ im November 2023. In den wenigen Tagen des Waffenstillstandes wurden israelische Geiseln aus Gaza freigelassen, im Austausch gegen palästinensische Gefangene aus israelischen Gefängnissen. Die Welt hat sich seitdem ausschließlich auf die freigelassenen israelischen Frauen, Mädchen und Kinder konzentriert. Die palästinensischen Gefangenen wurden in guter kolonialistischer Manier vergessen. Die B’tselem Feldforscher in Gaza und Hebron sprachen mit den freigelassenen Frauen und Mädchen und waren schockiert über die Berichte, die sie hören mussten über die Misshandlungen, denen diese ausgesetzt waren.

Seitdem bekommt die Menschenrechtsorganisation ununterbrochen neue Berichte über Misshandlungen, immer dieselben Berichte über genau dieselben Foltermethoden in der Haft, egal in welchem Gefängnis und in welcher Gegend Palästinas. Sehr schnell war ein klares Muster erkennbar. Im März entschied sich B’tselem zu dem Projekt, das mit einem Riesenarbeitsaufwand und der Konzentration all ihrer Möglichkeiten innerhalb von 5 Monaten abgeschlossen war mit der Publikation des Berichtes Anfang August 2024.

Shai Parnes von B’tselem nahm sich die Zeit, um mir diese Arbeit im Detail zu erklären, als ich am Dienstag vergangene Woche (20. August) das Büro der Menschenrechtsorganisation in Talpiot in West-Jerusalem besuchte.

Auf der Basis von 55 Berichten von freigelassenen Palästinensern (30 aus der Westbank, 21 aus Gaza und 5 Palästinenser aus Israel, also israelische Bürger) zeichnete sich eine „systematische institutionalisierte Politik des kontinuierlichen Missbrauchs und der Folter aller palästinensischer Gefangener“ ab, über die „Willkommen in der Hölle“ detailliert berichtet. Selbst wenn man nur liest, was die Menschen durchmachen mussten, ist dies kaum erträglich.

Sami Khalili aus Nablus, seit 2003 in Haft im Ketziot Gefängnis im Negev, berichtet, wie einigermaßen „akzeptable“ Haftbedingungen ab Mitte Oktober unmenschlich gemacht wurden: “Wir hatten nur noch ein Ziel: Überleben.“ Und er erläutert: „Wir hörten Schreie (aus den Nachbarzellen)…es klang, als ob sie abgeschlachtet würden. So etwas hatten wir noch nie erlebt…. Nach drei Stunden … kamen die Wärter zu uns… sie holten uns aus der Zelle und schlugen uns… sie sperrten 11 von uns in eine Zelle für 4… aus den Fenstern hatten sie das Fensterglas entfernt… es wurde extrem kalt. … Es gab dreimal täglich einen „roll call“: wir mussten knien, Kopf unten, Hände auf den Kopf… wer den Kopf hob, wurde geschlagen…“ (S. 23-24). Die Zellen waren überfüllt und kein Sonnenlicht kam in den Raum. Die Häftlinge hatten keinen Hofgang, sie mussten einfach nur sitzen, permanent…

Thaer Halahleh aus dem Hebron Distrikt berichtet, dass er während der Haft (in Ofer und in Nafha) 191 Tage lang keine Sonne hatte sehen können. (S.29).

Mohammad Srour aus Ni’ilin bei Ramallah erzählt, dass er zwar einmal  – eine absolute Ausnahme – einem Richter vorgeführt worden sei. Zuvor hätten ihn aber die Wächter brutal zusammengeschlagen und gewarnt, absolut darüber zu schweigen. Als ihn sein Rechtsanwalt sah (alles lief nur über Video), wie sein Gesicht geschwollen und verletzt war, forderte dieser ihn auf, den Richter zu informieren. Der empfahl ihm lediglich, die Untersuchung durch einen Arzt zu beantragen. Danach wurde er von den Wächtern ein zweites Mal zusammengeschlagen, weil er vor Gericht frei geredet hatte (S.34). Die Gefangenen waren kontinuierlich und vollständig isoliert: weder das Rote Kreuz noch Rechtsanwälte durften kommen. Von Familienbesuch war nie die Rede.

Fouad Hasan, 45, aus dem Nablus-Distrikt erzählt, wie sie mit dem Bus zum Megiddo Gefängnis gebracht wurden. Als sie ausstiegen, wurden sie von den Wärtern begrüßt: „Willkommen in der Hölle“. (S.46).

Durchgängig wurde sexuelle Gewalt ausgeübt: die Genitalien der Gefangenen wurden mit Schlägen traktiert, mit Holz-und Metallteilen. Die Männer mussten sich nackt ausziehen und wurden, nachdem sie misshandelt worden waren, so anderen Gefangenen vorgeführt, um sie noch weiter zu demütigen. Ein Gefangener berichtet, wie einige Wärter ihn am 29. Oktober anal vergewaltigten durch brutale Einführung einer Karotte. (S.58-59).

Immer wieder mussten Amputationen durchgeführt werden wegen Folter und danach fehlender medizinischer Behandlung. Sufian Abu Saleh aus Khan Yunis berichtet, wie ihm infolge der Haft in Sde Teiman sein Bein amputiert wurde. Im April wurde er zurück nach Gaza abgeschoben und musste ohne jede Hilfe alleine durch den Übergang Kerem Shalom humpeln. Und medizinische Weiterbehandlung in Gaza gibt es natürlich nicht.

In einzelnen Kapiteln analysiert B’tselem, wie Israel in seinen Gefängnissen mit den Inhaftierten „umgeht“. Inzwischen muss man von einem Netz von Lagern (mehr als ein Dutzend!) ausgehen, deren alleiniges Ziel es ist, die Palästinenser zu missbrauchen. Menschen werden dorthin gebracht in der klaren Absicht, sie erbarmungslos massivem Schmerz und Leiden auszusetzen. Die Lager sind, um eine klare Sprache zu gebrauchen, Folter-Lager. Der Missbrauch reicht über willkürliche Gewalt, sexuelle Übergriffe, Demütigungen und Erniedrigungen, Zwang zum Hungern (die Gefangenen verlieren in wenigen Monaten bis zu 20 kg oder mehr, S.77), unhygienische Bedingungen, Schlafentzug, Verbot von religiösen Handlungen, Konfiszierung von Eigentum, privat oder kollektiv, bis hin zur Verweigerung adäquater medizinischer Behandlung.

Internationales Recht verbietet dies unmissverständlich, wie B’tselem im Detail und unter Bezug auf die einzelnen Rechtsquellen aufzeigt. B’tselem weist auf die zentrale Rolle von Sicherheitsminister Ben Gvir hin, der für die Politik in israelischen Gefängnissen verantwortlich ist. Unterstützt wird er dabei vom gesamten Kabinett und von Ministerpräsident Netanyahu. Spätestens seit dem Oktober 2023 wird diese Dehumanisierung der Palästinenser von Politikern propagiert und in der breiten Öffentlichkeit nicht nur akzeptiert, sondern ausdrücklich positiv aufgenommen.

Eine besondere Rolle spielt Keter, die „IRF“, (initial reaction force), von Palästinensern schlicht „death squad“, also Todeskommandos genannt. IRF ist aktiv seit 2010, vor allem im Gefängnis Ketziot im Negev und in Ofer bei Beitunia, gleich südwestlich von Ramallah.

B’tselem berichtet von inzwischen mindestens 60 Toten in israelischer „Haft“, 48 davon aus Gaza, 12 aus der Westbank bzw. aus Israel. Der Bericht führt drei Todesfälle, besser Beispiele von Mord, in den Gefängnissen an:

Thaer Abu Asab, 38 Jahre alt, im Gefängnis Ketziot im Negev. (S.91)

Arafat Hamdan, 25, in Ofer. Er hatte Diabetes und wurde nicht behandelt. (S.94).

Mohammad as-Sabbar, 20, aus Dhahiriyya südlich von Hebron. Er litt unter einer Magenkrankheit und musste mit Diät leben, die ihm verweigert wurde. (S.99).

Der letzte Tote ist der 19jährige Zahir Raddad. Er wurde am 23. Juli in Tulkarm verhaftet und als menschlicher Schutzschild auf einem Armeejeep gefesselt. Er starb am 25. August infolge der Verletzungen, die er so erlitt. Vom 23. Juli an wurde er im Krankenhaus in Israel gefangen gehalten und sein Leichnam wurde der Familie bis dato nicht zur Beerdigung überstellt. (Information von ad-Damir, Menschenrechtsorganisation in Ramallah). Niemand wurde für diese Morde, denn anders kann man sie nicht bezeichnen, zur Verantwortung gezogen.

Oft vergessen wird die schlichte Tatsache, auf die der Bericht ausdrücklich hinweist:

Seit 1948, also seit der Nakba, seit der Gründung des Staates Israel, werden die Palästinenser aus politischen Gründen in Haft genommen, immer wieder zuerst und vor allem in „Administrativhaft“, also ohne Anklage und ohne reguläres Gerichtsverfahren. B’tselem geht von mindestens 800.000 Häftlingen seit 1967 aus, etwa 20 % der Gesamtbevölkerung!

Vor dem Oktober 2023 gab es schon 5.192 sogenannte „security“ (Sicherheits-) Gefangene,

1.319 davon saßen in Administrativhaft. Im Juli 2024, also vor Abschluss des Berichtes, war die Zahl auf 9.623 angestiegen, darunter 4.781 administrative Häftlinge. Seit dem Oktober sind Tausende von Menschen festgenommen, über wechselnde Perioden festgehalten und wieder freigelassen worden. Der entscheidende Grund, so das Prinzip, ist schlicht und einfach die Tatsache, dass diese Leute Palästinenser sind.

Der Bericht von B’tselem endet mit einem eindringlichen Appell:

„Wir appellieren an alle Nationen und an alle internationalen Institutionen und Organisationen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Grausamkeiten, mit denen das israelische Gefängnis-System die Palästinenser quält, sofort zu beenden, und das israelische Regime, das dieses System etabliert hat und in Gang hält, als ein Apartheid-Regime zu benennen, das ein Ende finden muss.“

Wer ist B’tselem?

B’tselem wurde 1989 als Menschenrechtsorganisation gegründet. Das Ziel der Organisation ist es, israelische Politik in den Besetzten Gebieten zu ändern, um die Menschenrechte der Palästinenser zu schützen.

Yuli Novak ist seit Juni 2023 Direktorin und Nachfolgerin von Hagai El-Ad, der seit 2014 die Organisation leitete. 38 Angestellte arbeiten bei B’tselem. Die Arbeit stützt sich zuerst und vor allem auf die Feldarbeit, die inzwischen Palästinenser ausführen unter extrem schwierigen Bedingungen: in der Westbank, in Ost-Jerusalem und in Gaza.

Finanzielle Unterstützung erhält B’tselem aus Europa und aus den USA sowie von Privatleuten. Das Budget beträgt mehr als 2 Millionen Dollar.

Aufsehen erregte der Bericht vom Januar 2021, in dem Israel, vom Fluss bis zum Meer („from the river to the sea“) als Apartheid-Regime analysiert wurde.

Hier der link zur Webseite von B’tselem: www.btselem.org

Link zu CNN report: Christina Amanpour Interview mit Yuli Novak, Direktor von B’tselem vom 24.August 2024: https://edition.cnn.com/2024/08/14/world/video/amanpour-israel-abuse-prison-btselem-yuli-novak

Panorama of Jerusalem Old City with Church of the Holy Sepulchre, Israel

Lasst Palästina in Frieden
Das reiche Erbe Jerusalems, von der Besatzung bedroht:
Khalidi Bücherei in der Altstadt von Jerusalem

Ein Bericht von Helga Baumgarten

1899 schrieb Yusuf Diya-aldeen al-Khalidi einen prophetisch anmutenden Brief an den französischen Oberrabbiner Zadok Kahn:

„… Es ist notwendig, … dass die zionistische Bewegung, im geographischen Sinn, stoppt… die Welt ist groß genug… es gibt immer noch unbewohnte Länder… Das wäre vielleicht die beste, die rationalste Lösung für die jüdische Frage. Aber, im Namen Gottes, lasst Palästina in Frieden.“

Zadok Kahn gab den Brief direkt weiter an seinen Freund Theodor Herzl. Herzl schrieb eine Antwort an Khalidi:

„…. Sie schreiben Zadok Kahn, die Juden sollten besser woanders hingehen. Das kann durchaus passieren, wenn wir sehen, dass die Türkei die enormen Vorteile, die ihnen unsere Bewegung bringt, nicht verstehen und würdigen will… Damit wird die Türkei aber die letzte Chance verlieren, ihre Finanzen zu regulieren und sich ökonomisch zu erholen. Ich schreibe Ihnen dies als wahrer Freund der Türken. Vergessen Sie das nicht!…!“

(Documents on Palestine I, PASSIA, S.14-15)

Der viel zu früh verstorbene Historiker Alexander Schölch (zuletzt Universität Erlangen) machte bei den Forschungen zu seinem für Palästina immens wichtigen Buch „Palästina im Umbruch 1856-1882“ (1986 – nach seinem Tod erschienen) „… einen historischen „Zufalls“-Fund: in der Khalidi-Bücherei entdeckte er bei der Suche nach relevanten Informationen in den Handschriften die Autobiographie von Yusuf al-Khalidi. Auf der Basis dieser außergewöhnlichen Biographie war er in der Lage, „den Aufstieg Jerusalems in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nachzuzeichnen“. Denn für ihn verkörperte Khalidi eben diesen Aufstieg zu einem politischen und administrativen Zentrum und durch ihn konnte er einen besseren Einblick in die soziopolitische Transformation in Palästina gewinnen.

Die Khalidi Familie gehörte zur Oberschicht Jerusalems, zu „einer der beiden alteingesessenen Notabelnfamilien, … die sich im 19. Jahrhundert gegenseitig Rang und Einfluss streitig machten,“ den Khalidis und den Husseinis. Die Husseinis waren die größere und reichere Familie, die Khalidis stützten sich auf ihren institutionell verankerten Einfluss durch ihre über Jahrhunderte bekleideten zentralen Positionen im Shari’a Gericht.

Die Khalidis haben große Besitztümer in Jerusalem, vor allem in der Altstadt, aber auch außerhalb, zum Beispiel das Land, auf dem sich die St. George’s Schule (al-Mutran) befindet. 1828 ist der Besitz in der Altstadt in einen Familien-Waqf übergegangen. Nach islamischem Recht kann nichts davon verkauft werden, es muss für die Familie erhalten bleiben. Khadijeh al-Khalidi, eine der weitblickenden Frauen der Familie, beschloss 1870, dass eine Bibliothek etabliert werden sollte. 1900, nach dem Tod der Mutter, gründete ihr Sohn, Hajj Raghib al-Khalidi, die Bibliothek.

In der Bibliothek finden sich zuerst und vor allem Dokumente der Khalidi-Familie, die bis ins 11. Jahrhundert zurückgehen. Außerdem beherbergt sie einen regelrechten Schatz von Büchern, nicht zuletzt die Buchsammlung von Ruhi al-Khalidi, der lange Jahre in Frankreich lebte. 2021 wurden die gesammelten Werke von Ruhi al-Khalidi endlich publiziert

„Muhammad Ruhi al-Khalidi (1864-1913): Books, Articles, and Selected Manuscripts.”

Er ist Autor der wohl ersten Studie in Vergleichender Literaturwissenschaft auf Arabisch, vor allem aber hat er als erster palästinensischer Autor einen historischen Überblick über den Zionismus verfasst. Inzwischen liegt auch ein Katalog vor, den mein Kollege an der Universität Birzeit, Dr.Nazmi Ju’beh, verfasst und publiziert hat (2001). Die Bibliothek und die meisten Häuser aus dem Khalidi-Waqf finden wir in der „Bab al-Silsila“ Straße. Sie führt vom Jaffa-Tor (bab al-khalil) zum haram al-sharif, vorbei an einer Abzweigung, die zur Klagemauer führt. Von der Bibliothek und von allen Häusern auf der rechten Seite blickt man direkt auf die Klagemauer, al-buraq, wie sie auf Arabisch benannt und als religiöses Heiligtum verehrt wird.

Eben diese Nähe wurde für die Bibliothek und den Besitz der Khalidi-Familie ein zentrales Problem. Nach der Besetzung der Altstadt durch Israel im Junikrieg 1967 zerstörte die Armee das gesamte Maghrebi-Viertel, das direkt vor dem buraq lag, und vertrieb alle Bewohner, um freien Zugang und einen riesigen Gebets-Platz vor der Klagemauer zu schaffen. Die Armee besetzte das Dach der Bibliothek. Ende der 1970er Jahre wurde dort eine extremistische Jeschiva errichtet. (1)

 Die Jeschiva-Bewohner terrorisierten die Bibliothek mit dem klaren Ziel, sie zu konfiszieren und der Yeshiva einzuverleiben. Ein langer Rechtsstreit folgte, den die Familie letztendlich für sich entscheiden konnte.

Schräg gegenüber ist der Bibliotheks-Annex, in dem sich die meisten Manuskripte befinden. Die Bücher blieben derweil in der traditionellen Bibliothek, also an ihrem alten Ort.

Im Juni 2024 besetzten extremistische Siedler ein Haus der Khalidi Familie direkt neben der Bibliothek. Sie schlugen die Bewohner brutal zusammen. Auf der Grundlage von gefälschten Papieren versuchten sie, ihre Besitzansprüche gerichtlich durchzusetzen. Zum Glück hatten Angehörige der jüngeren Generation der Khalidi-Familie das gesamte Eigentum auch in Israel offiziell registrieren lassen. Nur auf dieser Grundlage mussten die Siedler das besetzte Haus räumen.

Ich besuchte die Bibliothek am 14. August. Einen Tag zuvor, wie mir der Bibliothekar Dr. Khader Salameh berichtete, hatten Siedler den Annex attackiert, alles unter Polizeischutz. Kurz bevor ich kam, durfte Dr. Salameh endlich wieder in den Annex und baute als erstes ein neues Schloss ein. Jetzt hofft er fürs Erste auf Ruhe.

Die „Khalidiyyeh“ steht symptomatisch für den israelischen Versuch, die gesamte Altstadt in ihren direkten Besitz zu bringen und die Palästinenser sukzessive zu vertreiben.

In ihrem Bericht „Der große Land-Raub“ berichten die israelischen NGOs Ir Amin und Bimkom von den neuesten Methoden, mit denen Israel und insbesondere die Stadt Jerusalem großflächig den palästinensischen Besitzer in Jerusalem Land wegnehmen. Dies geschieht durch einen weltweit üblichen Prozess der Land-Registrierung, „settlement of land title“, also die abschließende Klärung und Registrierung von Landbesitz. Während dieser Prozess international völlig normal ist, ist er im Falle des besetzten Ost-Jerusalem eine klare Verletzung geltenden internationalen Rechts. Israel beruft sich dabei auf die schlichte „Tatsache“, dass, aus israelischer Sicht, Jerusalem Teil des Staates Israel sei, dessen unteilbare Hauptstadt. Dies wird jedoch im internationalen Recht nicht anerkannt, auch nicht in Österreich oder Deutschland. Ir Amin und Bimkom zeigen in ihrem Bericht, wie Israel „Palästinenser enteignet, um damit mehr Land für jüdische Siedlungen zu bekommen und Israels Souveränität über Ost-Jerusalem zu zementieren“.

Der Prozess ist in ganz Jerusalem im Gange: von „Har Homa“ im Süden, direkt oberhalb von Beit Sahour, über den Ölberg bis nach Beithanina im Norden.

Ein letztes Beispiel ist das armenische Viertel. Siedlerorganisationen wollen Teile davon „übernehmen“. Zum Glück konnten die Armenier rechtzeitig legalen Widerspruch einlegen.

Dieser gesamte Prozess der Besitzregistrierung ist in keiner Weise transparent. Zum Teil wissen die palästinensischen Besitzer nicht, was Stadt und Staat dabei sind zu tun, hinter ihrem Rücken. Und sie können deshalb auch nicht rechtzeitig reagieren, was im Falle des armenischen Viertels wenigstens noch möglich war.

Das Problem, wie Ir Amin und Bimkom in ihrem Bericht aufzeigen, ist die schlichte Tatsache, dass solche Prozesse der Landregistrierung, sei es als Staatseigentum, als Eigentum von Siedlerorganisationen oder als Privateigentum, endgültig und selbst nach Beendigung der Besatzung nicht mehr umkehrbar sind.

Abschließend möchte ich zurückgehen zur Erfahrung der Khalidi-Bibliothek mit Stadt und Siedlern. Was immer die palästinensischen Bewohner (also aus israelischer Sicht die „nicht-jüdischen Bewohner) der Altstadt versuchen: gegen sie steht die geballte Macht der Besatzung. Und wenn legale Mittel nicht mehr nützen, kommt einfach eine militärische Anordnung und der israelische Siedlerkolonialismus hat wieder einmal gewonnen.

(1) Jeshivas sind traditionelle jüdische Erziehungsinstitutionen. Dort wird die rabbinische Literatur, also v.a. Talmud und halacha (jüdisches Recht) studiert, außerdem Torah und jüdische Philosophie.

Die Fotos – mit Ausnahme jenes des al-buraq/Klagemauer – stammen von Darwish al Kurd, dem Sohn von Helga Baumgarten und Mustafa al Kurd.

Panorama of Jerusalem Old City with Church of the Holy Sepulchre, Israel

Tel Avivs Tmuna Theater erlebte eine Sensation:
Das neue Stück von Einat Weizman, „Matzpen-Komitee in Sachen Militärregierung“, wurde mit zwei Auffüh-
rungen angekündigt: Beide waren innerhalb von 24 Stunden vollständig

Wer war/ist Matzpen?


Der ursprüngliche Name ist „Israelische Sozialistische Organisation“. Gegründet wurde sie 1962. Bekannt
wurde sie aber unter dem Namen ihrer Zeitschrift „Matzpen“, Kompass auf Deutsch.
Einer der noch lebenden Gründer – dazu gehörten Akiva Orr, Oded Pilavsky und Yirmiyahu Kaplan – und
wohl der letzte aus dieser allerersten Gruppe, ist Moshe Machover, der seit 1968 in London lebt und arbeitet.
Aktuell meldet er sich immer wieder zu Wort mit tiefschürfenden Analysen. In einem Interview mit dem
Magazin +972 zur Geschichte der Matzpen nennt er als deren Ziel die Gründung einer unabhängigen linken
Organisation, unabhängig vor allem von den Machtinteressen der Sowjetunion. Die jungen Aktivisten inter-
pretierten die Lage vor Ort als einen kolonialen Konflikt zwischen dem Zionismus und den unterdrückten
Palästinensern, deren Land geraubt und die ab 1947 und vor allem 1948 in der Mehrzahl vertrieben worden
waren.

Schon früh schlossen sich sowohl Mizrahi Aktivisten an, wie Haim Hanegbi, dessen Großvater sephardischer
Rabbiner in Hebron war, als auch palästinensische Marxisten wie Jabra Nicola aus Haifa oder Ahmed Mas-
sarweh aus Ar’ara.

„Bekannt“ wurde Matzpen in Israel durch eine bezahlte Anzeige am 22 .September 1967 in Haaretz:
„Unser Recht, uns vor einer Vernichtung zu verteidigen, berechtigt uns nicht, andere zu unterdrücken. Besat-
zung führt zur Fremdherrschaft. Fremdherrschaft führt zu Widerstand. Widerstand führt zu Unterdrückung.
Unterdrückung führt zu Terror und Gegenterror. Die Opfer des Terrors sind in der Regel unschuldige Men-
schen. Das Behalten der Besetzten Gebiete wird uns in ein Volk von Mördern und Ermordeten verwandeln.
Verlassen wir die besetzten Gebiete sofort.“

Die Unterzeichner waren Moshe Machover, Haim Hanegbi, Shimon Tzabar, David Ehrenfeld (der Rote Mil-
lionär), Dan Omer, Rafi Zichroni, Shneur Sherman, Uri Lifshitz, Yehuda Rosenstrauch, Raif Chana Elias, Eli
Aminov und Arie Bober.

Schon vor der Anzeige hatte Haim Hanegbi mit anderen Genossen in Tel Aviv überall die Parole „Hal’a Ha-
Kibbush“, also: Nieder mit der Besatzung, – eine Parole, die von ihm stammt – aufgemalt.

Der Skandal war perfekt! In eine Stimmung von ultranationalistischen Feiern über den Sieg von 1967 kam
diese vernichtende Kritik, die sich als wahrer Kassandra-Ruf herausstellte. Machover meint rückblickend,
dass ein Artikel, der im Mai, noch vor dem 67er Krieg, in der Zeitschrift Matzpen erschienen war, viel wichti-
ger gewesen sei.

Darin hätten sie die de-Zionisierung von Israel gefordert, die Abschaffung des Rückkehrgesetzes, ja die Ab-
schaffung aller Gesetze, die Nicht-Juden diskriminieren. Gleichzeitig hätten sie auf dem Recht zur Rückkehr
für palästinensische Flüchtlinge bestanden, wie es ja durch die Vereinten Nationen 1948 beschlossen worden
war.

Gleichzeitig hätten sie eine klare Unterscheidung zwischen dem Siedlerkolonialismus in Südafrika und in
Algerien einerseits, in Israel andererseits getroffen: Israel habe sich von Anfang an auf Arbeit durch jüdische
Einwanderer gestützt und sei deshalb von palästinensischer Arbeit nicht abhängig geworden. Aus diesem
Grund habe Matzpen auch die nationale Befreiung der hebräischen Massen durch die Integration beider Na-
tionen, der hebräischen und der palästinensischen, in eine „Sozialistische Nahöstliche Union“ als die einzige
Lösung betrachtet.

Diese Analyse sei, so Machover, nach wie vor korrekt. Entscheidend sei, dass der Schwerpunkt auf Kolonia-
lismus liege. Denn die zionistische Kolo

historisch in den USA geschehen sei.
Ich hatte die Chance, die letzte Probe vor den zwei Aufführungen in Tel Aviv mitzuerleben und mit einigen der Aktivisten zu
sprechen.
Lea Tsemel, Rechtsanwältin (Ihr Mann, Michel Warshawsky, konnte wegen schwerer Krankheit nicht mitkommen), ist eine langjährige Freundin. Sie hat meinen verstor-
benen Mann, Mustafa al-Kurd, verteidigt, als er 1976 verhaftet wurde wegen seiner
politischen Lieder und seiner Mitarbeit im politischen Theater von Ballalin. Sie ermög lichte es schließlich, dass er nach seinem
Exil von 1976 bis 1983 bzw. 1985 wieder zurück ins Land durfte.

The Socialist Organization in Israel – better known by the
name of its paper, Matzpen – was founded in 1962 by a group
that formed around four members who had been expelled
from the Israeli Communist Party (ICP), having challenged the
ICP’s lack of internal democracy and its unquestioning allegi-
ance to the Soviet Union. The organization is committed to a
socialist revolution based on councils elected by the workers, is
opposed to Zionism and calls for recognition of the Palestini-
an people’s national rights. In its early years, the main activity
of the group’s members was aimed at creating an independent
workers’ trade union outside the ambit of the Histadrut.


Weitere Informationen:
https://matzpen.org/english/about-matzpen/

Zusammen mit einer weiteren Aktivistin fuhren wir in unserem Auto nach Tel Aviv und auf der Fahrt über-
setzte mir Lea große Teile des Theaterstücks.
Ehud Ein Gil, bis vor kurzem noch Journalist in Haaretz, versetzte mich in das absolute Staunen. Noch in der
aktiven Zeit von Matzpen brachte er sich selbst Arabisch bei. Als wir miteinander sprachen und er erfuhr,
dass ich mit Mustafa verheiratet war, rezitierte er aus dem Kopf eines der ersten Lieder von Mustafa: Beit
Iskariya.

Dort heißt es:
In Beit Eskarya, in der Nähe von Akraba…
Sie haben in mein Land ihren Hass eingepflügt …
Sie haben ihr Gift dort gesät!
Sie haben alle vertrieben und mein
Hab und Gut aus Bab-El-Silsileh weggeworfen.
Sie haben die Liebe aus der Tür geworfen,
einen Nagel in meine Wunde getrieben …
So bin ich ein Wanderer geworden!
Mein Land ruft mich in seiner Qual …
Ohne meinen Schweiß, meine Spitzhacke und meine Sichel …
Ist es verlassen und staubig geworden!
Ich wurde von der Erde entwurzelt, um Tag und Nacht in einer
Fabrik zu arbeiten …
Immer und immer wieder die gleiche Arbeit zu machen
Sohn von Turmus-Ayya, von Yatta, von Deir El-Balah und
von Silwan…
Behalte dein Land und gib niemals auf !
Bauern waren wir…
Bauern bleiben wir!
Stärker in diesem Boden verwurzelt als die Neuankömmlinge
gehört Palästina uns …

Der erste israelische Wehrdienstverweigerer, Giora Neumann, stand auf der Bühne. Und auch Udi Adiv gehörte zu den Schauspielern. Er war einer der radikalsten Matzpen-Aktivisten nach 1967. Angeklagt wegen Spionage für Syrien, verbrachte er 12 Jahre in israelischer Haft. Inzwischen arbeitet er als Politologe und blickt sehr kritisch/ selbstkritisch auf die ersten Jahre nach 67 zurück. Schließlich durfte ich zwei der palästinensischen Matzpen-Aktivisten kennenlernen.

Der eine war Ahmad Massarweh, 85, aus Ar’aba. Er wurde bekannt durch den Dokumentarfilm aus dem Jahre 1966: “Ich, Ahmad”. Der Film zeigt an seinem Beispiel dasLeben palästinensischer Arbeiter aus dem Norden, die versuchten, sich mit Tagelöhner – Arbeit in Tel Aviv durchzuschlagen. Schon zuvor, als Schüler, hatte er am eigenen Leib die schlimmsten Erfahrungen mit Hilfsarbeit bei Israelis und gleichzeitig ständiger Angst vor Verhaftungen und Prügel durch die Armee durchstehen müssen.

Der andere ist Ali al-Azhari aus dem 1948 zerstörten Dorf Safuriyeh im
Norden von Galiläa, der inzwischen in Jaffa lebt. Bis heute darf er sein
Geburtsdorf nicht besuchen: „Zutritt verboten“ steht am Eingang zu
den Überresten des Ortes. In einem ausführlichen Gespräch erklärt mir
Einat Weizman das Ziel des Stücks, das Ziel der gesamten Produktion. Sie
wollte für ein israelisches Publikum Ikonen der Geschichte, Ikonen des
antizionistischen Widerstandes, auf die Bühne stellen.
Sie verlesen im Dokumentarstück die Texte des „Komitees in Sachen
Militärherrschaft“. Diese Militärherrschaft wurde von 1948-1966 den in
Israel verbliebenen Palästinensern aufoktroyiert. Die damit gewonnenen
Erfahrungen bildeten nach 1967 eine willkommene Grundlage für die
neu errichtete Militärherrschaft über die 1967 besetzten Gebiete West-
bank, Ost-Jerusalem und Gaza-Streifen. Die Frage stellt sich, ob sie aktuell ein weiteres Mal Gaza aufoktroyiert werden soll, wenn es denn nach Netanyahu geht?
Damit wird das Stück zu einer beißenden Satire: die einzigen unerbittlichen Kritiker der Militärherrschaft, der Unterdrückung, überhaupt des Systems des Siedlerkolonialismus über die Palästinenser, lesen, was die Unterdrücker, die „Herren“ von Militärherrschaft und Siedlerkolonialismus, vorbringen.

Wer ist Einat Weizman?


Sie war eine berühmte Schauspielerin in Israel, sowohl in Film als auch im
Fernsehen. Gleichzeitig war sie aber auch eine linke und kritische Aktivistin. Israels Krieg 2014 gegen Gaza brachte bei ihr das Fass zum Überlaufen. Sie stellte ein Bild von sich mit palästinensischer Fahne und der Aufschrift „Free Palestine“ auf die „sozialen Medien“ (social media).
Das war das Ende ihrer Karriere. Man machte ihr noch ein letztes Angebot:
Entschuldige Dich und wir sehen, was wir noch retten können. Dazu war sie aber nicht bereit. In einer neuen Karriere inszenierte sie 2015 ihr erstes Theaterstück. Seit dem 7. Oktober, so beklagt sie sich, habe sie viele Freunde, auch sehr gute alte Freunde, verloren. Und sie verliert ihren letzten bezahlten Job, in dem sie Schauspielerunterricht gegeben hatte. Inzwischen fühlt sie sich entfremdet, leidet unter „ideologischer Einsamkeit“, sei „nicht mehr daheim“. Die radikale Linke in Israel, zu der sie sich zählt, scheint in ihren Augen verloren. Was sie brauchen, so meint sie, seien die Ikonen des Widerstandes, die sie als regelrechten kulturellen Schatz sieht, der präsentiert und erhalten werden muss.

Das war der Ausgangspunkt für die neue Theaterproduktion.
Sie kannte schon einige der alten Matzpen-Aktivisten. Sie mussten, als erste Generation des antizionistischen Widerstandes, auf die Bühne gestellt werden.

Die Zukunft dieses Widerstandes sind die neun Trommlerinnen und Trommler, die neue antizionistische Linke. Damit zeigt sie zwei antizionistische Generationen auf der Bühne.
Mit ihren 50 Jahren betrachtet sie sich gleichsam als Verbindungsglied zwischen beiden: Vergangenheit und Zukunft.

Die historischen Matzpen-Aktivistinnen und Aktivisten lesen auf der Bühne die Worte der mächtigen Unterdrücker der Palästinenser in Israel, die – man sollte das immer von Neuem wiederholen – 1948 unter eine brutale und menschenverachtende Militärherrschaft gestellt wurden, die bis 1966 andauerte.
Diese schlichte Tatsache war weitgehend unbekannt in Israel bzw. die Menschen wollten nichts davon wissen. Bis zur Konzeption des Theaterstücks wussten selbst Einats Kinder nichts davon.

Adam Raz, Historiker im Akevot Institut in Haifa, rettete das Dokumentar-Material für das Theaterstück aus israelischen Archiven. Die Protokolle, die im Stück vorgetragen wurden, waren bis dahin nicht bekannt. Raz brachte alles an die Öffentlichkeit, was nur möglich war durch jahrelange Kämpfe. Es handelt sich um etwa 1.000 Seiten. Im sogenannten „Pinhas-Komitee“ wollte der damalige israelische Ministerpräsident Ben Gurion überprüfen, inwieweit die Militärherrschaft über die Palästinenser in Israel, die „israelischen Araber“, weiterhin notwendig und was ihr Ziel war.

Immer noch liegen viel Dokumente unzugänglich in den Archiven, wie mir Raz erklärt. Das betrifft vor allem das Archiv der Armee. Dieses besteht wohl aus 12 Millionen Akten. Nur ½ bis 1 %, also etwa 60.000 Akten, sind bis dato zugänglich, und auch das immer nur nach langen Kämpfen.

Was die Treffen des Pinhas-Komitees betrifft, so konnte Raz zumindest die wichtigsten Dokumente zur Behandlung der Palästinenser in Israel – sie waren immerhin israelische Staatsbürger! – bekommen. Nach wie vor fehlen aber die Stellungnahmen des Shabak-Chefs, des Inland-Geheimdienstes, sowie des Polizeichefs.
Aber das offengelegte Material, die Basis des Theaterstücks, zeigt uns die ununterbrochene nakba für die Palästinenser seit 1948. Nakba heißt Landenteignung, Vertreibung, Unterdrückung, ein Prozess, der nicht nur für die Palästinenser im israelischen Staatsgebiet von 1948, sondern auch in den 1967 besetzten Gebieten Tag für Tag die Realität der Menschen bestimmt.

Davon, so auch Adam Raz, genau wie Einat Weizman, sei praktisch nichts bekannt in der israelischen Öffentlichkeit. Die meisten Israelis betrachteten vielmehr die Jahre von 1948 bis 1967, also noch vor dem 67er Krieg und der Besatzung über Ost-Jerusalem, Westbank und Gazastreifen, als die goldenen Jahre Israels und feierten sie als die Jahre einer echten Demokratie, der „einzigen Demokratie in der Region“.
Die Realität bestand jedoch aus einem Apartheidsystem wie in Südafrika.
Auch für Adam Raz waren die Matzpen-Aktivisten die ersten und einzigen wirklich radikalen Kritiker dieses Systems.

Worin bestand dieses System? Im Komitee wird tacheles geredet:
Die Araber werden z.B. schlicht und einfach als Esel betrachtet. Ben Gurion sagt im Klartext: Die Araber lieben es, wenn wir sie als Esel behandeln.

Durchgängig wird argumentiert, dass man keinem Palästinenser glauben oder trauen könne. Ob gute oder böse Araber, es gäbe keinen Unterschied. Alle lehnten Israel ab, die einen aktiv, die anderen passiv.
Außerdem müsse Israel sich schützen vor der arabischen Gefahr, einer regelrechten 5. Kolonne, gesteuert von außen. Araber könnten, wenn es die Militärherrschaft nicht mehr gäbe, jederzeit – so ein Argument – nach Tel Aviv und dort eine Bombe legen. Israel könnte das nicht verhindern. Allein schon deshalb sei die Militärherrschaft unabdingbar.

Ökonomische Strangulierung wurde als notwendig betrachtet zur Kontrolle über die Araber. Man wollte jede ökonomische Entwicklung und Eigenständigkeit verhindern. Die regelrechte Verdummung der Menschen war ein weiteres Ziel. Bildungsmöglichkeiten sollten auf ein Minimum reduziert werden. Überhaupt sollte den Palästinensern das Leben so unerträglich gemacht werden, dass sie sich selbst für Auswanderung entschieden.
Wichtig schließlich die Mitteilung des Militärgouverneurs: Wir haben einen File, eine Akte, über jeden Palästinenser in Israel. Diese Situation besteht seit 1967 auch in der Westbank und im Gazastreifen.

Adam Raz spricht deshalb – er weiß, dass ich aus Deutschland komme – von einem „israelischen Stasi“.
Entscheidend war jedoch die Landfrage: die vertriebenen Palästinenser, von denen viele als „Binnenflüchtlinge“ bzw. präziser „Binnenvertriebene“ im Land waren, sollten mit allen Mitteln daran gehindert werden, in ihre Dörfer zurückzukehren. Man wollte verhindern, dass sie ihre Dörfer wiederaufbauten und dass sie ihr Land wieder bebauten.

Israel wollte zuerst und vor allem das Land und es wollte absolut keine Palästinenser auf diesem Land.
In der Kommission wurden auch palästinensische Knesset-Abgeordnete gehört, wie z.B. Taufiq Tubi von der Kommunistischen Partei (erst Maki, dann Rakah und zuletzt Hadash). Er schleuderte den „Herren des Landes“ die Wahrheit ins Gesicht: es gehe ihnen nicht um Sicherheit, es gehe einzig und allein um Land. Ihr wollt unser Land und Ihr wollt es ohne einen einzigen Palästinenser, so seine klare Aussage.

Wichtig zu bemerken: Die Palästinenser, die aussagen durften vor der Kommission, durften jeweils nur kurz reden und mussten dann den Raum wieder verlassen.

Im Stück hat Einat Weizman das so gelöst, dass Ahmed Massarweh und Ali al-Azhari, sobald sie ihren Beitrag beendet haben, ihren Stuhl umdrehen müssen und nur noch von hinten zu sehen sind.
Wie Einat Weizman meint auch Adam Raz, dass die Botschaft durch ein Doku-Drama besser an die israelische Öffentlichkeit gelangen könne als durch noch so viele Bücher.

Unser Gespräch schließt Einat Weizman mit einer großen Hoffnung:
Wir haben nicht nur die Ikonen von Matzpen, wir haben auch eine Zukunft mit den jungen antizionistischen Aktivistinnen und Aktivisten. Sie verteidigen die Palästinenser durch ihre physische Anwesenheit und ihren physischen Einsatz im Jordantal und in der Westbank gegen Siedler und Armee. Dabei werden sie immer öfter genau wie die Palästinenser zusammengeschlagen.

Und wie geht es weiter? Zumindest mit dem Theaterstück “Matzpen-Komitee in Sachen Militärregierung“? Alle hoffen auf weitere Aufführungen in naher Zukunft und als ersten Schritt dahin, dass das Problem der Finanzierung gelöst wird.

Panorama of Jerusalem Old City with Church of the Holy Sepulchre, Israel

Von Helga Baumgarten

Gaza, Jerusalem, Westbank: nur Horrornachrichten, Völkermord, Tod und Zerstörung, ethnische Säuberungen, Siedlergewalt… man weiß nicht, wo man anfangen und wo man aufhören muss.

Aber jenseits des Horrors gibt es den Alltag, unspektakulär einerseits, unerträglich und unmenschlich andererseits. Davon soll heute die Rede sein.

Die Universität Birzeit liegt etwa eine halbe Stunde nordöstlich von Jerusalem. Wie kommt man also von Jerusalem, Jerusalem-Ost (also das seit 1967 besetzte Ost-Jerusalem) nach Birzeit? Vorbei sind die Zeiten, als Professoren und Studenten aus Ost-Jerusalem auf direktem Weg, also über Ramallah und von dort nach Birzeit, zu ihrer Universität fahren konnten, entweder mit dem Privatauto oder mit den „Öffentlichen“, d.h. Bus oder Sammeltaxi. Seit dem Beginn des Osloer-Prozesses muss man ständig Armee-Sperren passieren. Einige davon sind in Permanenz da, wie z.B. vor dem Flüchtlingslager Kalandia nördlich von Jerusalem: jeder, der aus Jerusalem Richtung Ramallah oder aus Ramallah Richtung Jerusalem möchte, muss hier durch. Inzwischen kann das Stunden dauern und manchmal gibt es überhaupt kein Durchkommen, weil die Armee beschließt, die Sperre ganz zuzumachen.

Alternativ gibt es längere und kürzere Umwege, um nach Birzeit zu kommen. Der längere Umweg, den ich mit vielen Kollegen vorziehe, ist gut und gerne 15 km länger. Wenn man Glück hat, kommt man ungehindert, also ohne Armee-Sperren und Kontrollen, nach Birzeit: man fährt raus aus Jerusalem Richtung Osten, dann wendet man Richtung Norden, auf der Straße, die eigentlich nach Nablus führt und gleichzeitig Jerusalem mit zahllosen israelischen kolonialistischen Siedlungen verbindet. Wenige Kilometer nach der Siedlung Ofra biegt man wieder Richtung Westen und kommt dann aus nordöstlicher Richtung in die Stadt Birzeit und von dort zu der etwas außerhalb gelegenen Universität.

Aber man kann auch Pech haben, wenn nämlich die Armee beschließt, „fliegende“ Sperren zu errichten: das kann einen sehr viel Zeit kosten. Wenn man also einen wichtigen Termin hat: eine Lehrveranstaltung, eine Prüfung, einen Termin bei der Administration, empfiehlt es sich, für eine Strecke, die üblicherweise in einer Stunde zu bewältigen ist, drei Stunden einzukalkulieren. Und selbst das klappt immer öfter nicht: wenn nämlich die Armee schlicht die Sperren nach Birzeit zumacht: eine rote Schranke wird quer über die Straße runtergelassen, zwei Soldaten davor postiert: und das war es dann.

Israel argumentiert, dies alles aus Sicherheitsgründen notwendig. Unklar ist, um wessen Sicherheit es dabei geht: wahrscheinlich zuerst und vor allem die Sicherheit der kolonialistischen Siedler, die meinen, die Westbank gehöre alleine ihnen. Aber meist geht es gar nicht um Sicherheit, sondern einzig und allein um Schikane: Schikane gegen die Palästinenser. Immer wieder steht man ungeduldig vor einer fliegenden Armeesperre: 15 Minuten, eine halbe Stunde, eine Stunde… und dann ziehen die Soldaten plötzlich unvermittelt ab und alle können ungehindert weiterfahren. Man fragt sich dann natürlich: was ist denn jetzt plötzlich aus der Sicherheit geworden?

Gestern fuhr ich gegen 9.30 los aus Jerusalem. Nur wenige Kilometer Richtung Norden, am ersten Kreisel, von dem aus man zu einer Siedlung abbiegen kann, stand die Armee und kontrollierte alle Autos. Autos mit Westbank-Nummernschildern (anders als die gelben Nummernschilder aus Israel bzw. Jerusalem, inklusive Jerusalem-Ost) mussten umdrehen, zurück Richtung Westbank. Alle Zufahrtsstraßen aus palästinensischen Dörfern waren abgeriegelt. Als ich weiter Richtung Birzeit fuhr, standen rechts und links der Straße endlos viele Autos mit Westbank Nummern, die warteten, wie sich die Lage entwickeln würde.

Als ich nachmittags gegen 15 Uhr zurückkam, gab es keine Armeesperren mehr, keine Autos warteten mehr auf der Seite und alle Zufahrtsstraßen waren wieder offen. Die Herren des Landes hatten ihren Sklaven wieder einmal bewiesen, dass sie Sklaven sind.

Dieselbe Erfahrung müssen Menschen machen, die aus Jerusalem nach Bethlehem möchten und umgekehrt. Entweder sucht man einen Umweg und hofft, dass der frei passierbar ist, oder man konfrontiert die zentrale Armee-Sperre am Ausgang von Bethlehem, direkt an der Mauer: anders als Birzeit darf sich Bethlehem einer Mauer rühmen! Jerusalemer, die z.B. aus den verschiedensten Gründen eine Wohnung in Bethlehem haben, aber täglich hin-und herfahren müssen: die Kinder zur Schule, die Eltern zur Arbeit, helfen sich aus, indem ein Auto auf der Bethlehemer Seite bleibt, ein anderes auf der Jerusalemer Seite. Den Armee-Kontrollpunkt passiert man dann zu Fuß, was meist schneller geht. Aber das ist lediglich eine Möglichkeit für die gutsituierten Palästinenser, die tatsächlich zwei Autos haben.

Religiöse Feste sind inzwischen zum jährlichen Alptraum für alle Gläubigen geworden, egal ob Christen oder Muslime. Die Armee entscheidet, wer aus der Westbank nach Jerusalem darf. An Ostern dieses Jahr war es praktisch unmöglich für Christen aus der Westbank, an den Osterfeierlichkeiten in Jerusalem teilzunehmen. Muslime, die während des Ramadan in Jerusalem auf dem haram al-sharif beten wollten, durften dies nur, wenn sie über 50 (Frauen) bzw. über 60 (Männer) waren. Und selbst darauf konnte man sich nicht verlassen.

Jede Fahrt von Jerusalem Richtung Norden: Nablus oder Jenin, ist so gut wie unmöglich bzw. ein einziges unkalkulierbares Abenteuer. Dasselbe gilt für eine Fahrt nach Hebron oder weiter südlich. Man ist mit endlosen Armee-Sperren konfrontiert und Übergriffe von Siedlern finden immer öfter statt.

Finanzminister Smotrich, selbst ein Siedler, der dabei ist, die Westbank in einer Art verdecktem Staatsstreich zu annektieren, lässt inzwischen überall neue Straßen bauen, damit Siedler nach Jerusalem und nach Israel fahren können auf Straßen, auf denen keine Palästinenser fahren: also offene Apartheid: Straßen für die Sklaven, Straßen für die Herren.

Große Highways, fast wie Autobahnen, für die Herren, kleine, enge Straßen für die Sklaven.

Und die Welt schaut zu.

Panorama of Jerusalem Old City with Church of the Holy Sepulchre, Israel

Ein Bericht von Helga Baumgarten

Seit Oktober warten fünf Babys aus Gaza auf die Mutter: die Drillinge Najwa, Nijma und Nur sind inzwischen fast ein Jahr alt. Die Mutter hätte sie Anfang Oktober nach Gaza holen sollen, nachdem die Geburt gut verlaufen war im Maqassed Krankenhaus in Jerusalem. Sie wurde vertröstet auf die Zeit nach Sukkot (dem Laubhüttenfest). Aber ehe Sukkot zu Ende war, kam der 7. Oktober. Die Mutter sitzt seitdem fest in Gaza, die Babys werden in Jerusalem versorgt. Warum war die Mutter in Gaza und ihre neugeborenen Drillinge in Jerusalem? Nur der menschenverachtende Umgang der israelischen Besatzung mit Menschen aus Gaza (gleichermaßen mit Menschen aus der Westbank) führte dazu.

Als die hochschwangere Mutter nach Jerusalem kam, um ihre ersten Kinder zur Welt zu bringen, kam sie mit einer Genehmigung als Patientin. Sofort nach der Geburt ihrer Kinder transformierte sie sich für die israelische Besatzung in eine „Begleiterin“. Um als Begleiterin in Jerusalem bleiben zu dürfen, braucht sie eine neue und andere Genehmigung. Diese kann sie aber nur im Gaza-Streifen beantragen und bekommen. Also musste sie die neugeborenen Babys in Jerusalem lassen, um möglichst schnell ihre Genehmigung zu bekommen.

Sa’ida wurde als Problemkind von ihrer Mutter im Maqassed Krankenhaus geboren. Nach der Geburt waren Operationen notwendig, damit Sa’ida gesund heranwachsen könnte. Inzwischen ist Sa’ida gesund, da die Operationen erfolgreich waren. Wie im Fall der Mutter der Drillinge musste auch ihre Mutter nach der Geburt nach Gaza, um eine Genehmigung als Begleiterin ihres Babys zu beantragen und, so die Hoffnung, zu bekommen.

Anas schließlich, das vierte Baby, ist immer noch schwer krank, auch nach mehreren äußerst komplizierten Operationen. Er ist einer von Vierlingen, die seine Mutter in Jerusalem auf die Welt brachte. Die Mutter kehrte mit drei ihrer Babys nach Gaza zurück. Dort warteten ihre anderen Kinder auf sie: zwei Zwillingspaare, die noch sehr klein sind. Ihre Situation unterscheidet sich also von den Eltern der Drillinge und den Eltern von Sa’ida. Sie kann Anas erst nach Gaza holen, wenn dieser entsetzliche Krieg zu Ende ist. Vor allem aber ist es notwendig, dass er, nach weiteren noch notwendigen Operationen, hoffentlich einigermaßen gesund nach Gaza zurückkehren kann.

Wie geht das Krankenhaus in Jerusalem mit dieser Situation um: Babys, die ohne Mutter sind, und trotzdem versorgt werden müssen. Babys, die das Recht haben, liebevoll umsorgt von Mutter und Familie, aufzuwachsen.

Dem Krankenhaus, den Ärzten und der Verwaltung gebührt Hochachtung und Dank. Die Babys erhielten ein eigenes Zimmer, das „Gaza-Zimmer“, in dem sie inzwischen leben.

Fünf Gitterbetten für Babys, vier Baby-Lauflernhilfen, eine Baby-Schale, in der ein Baby leicht geschaukelt werden kann, Baby-Spielzeug, eine Spielmatte für das Sitzen und hoffentlich bald Krabbeln am Boden: all das durfte ich gestern bewundern bei meinem Besuch im Krankenhaus.

Die Babys werden von einer oder mehreren Krankenschwestern versorgt. Der Leiter der Abteilung und eine junge Ärztin sind verantwortlich für die medizinische Betreuung, die offensichtlich ausgezeichnet ist. Eine Sozialarbeiterin kommt regelmäßig vorbei. Schließlich besucht eine gute Freundin von mir die Kleinen täglich für mehrere Stunden und spielt mit ihnen. Jeden Tag gibt es einen Anruf bei der Mutter der Babys. Ich durfte miterleben, wie freudig, ja geradezu begeistert, Najwa, Nijma und Nur auf die Stimme und das Bild ihrer Mama auf dem Mobil-Telefon reagierten. Ein Strahlen breitete sich aus auf den kleinen Gesichtern, sie griffen nach dem Bild der Mutter… aber in Minuten war alles vorbei. Oft gibt es leider keine Telefonverbindung nach Gaza und der Kontakt kann nicht hergestellt werden.

Heute geht es zuerst und vor allem darum, der jungen Mutter von Najwa, Nijma und Nur die Ausreise aus Gaza und nach Jerusalem zu ermöglichen. Dasselbe gilt für die Mutter bzw. die Tante von Sa’ida. Ein Versuch läuft über die Weltgesundheitsorganisation (WHO: World Health Organization), die bereit ist, alles zu unternehmen, damit die Mütter endlich wieder ihre Babys in den Arm schließen können. Sie erklärte sich auch bereit, sämtliche Kosten dafür zu übernehmen, bis der Krieg beendet und der Wahnsinn in Gaza aufhört, damit Mutter und Babys sicher nach Gaza zurückkehren können. Weitere Unterstützung kommt von MAP, Medical Aid for Palestine.

Es sollte doch wohl ein Leichtes sein, dass die Regierungen in Berlin und Wien intensiven Druck auf Israel ausüben, damit die Mütter ausreisen dürfen: so schnell es irgend möglich ist!

Das Schicksal der fünf Babys trägt in sich einen unlösbaren Widerspruch. Hier in Jerusalem und im Maqassed-Krankenhaus werden die Babys bestens versorgt, sowohl medizinisch als auch mit Nahrung. Sie schauen gesund aus und bestens ernährt: wie eben Babys in diesem Alter aussehen sollten.

Die Lage in Gaza ist dagegen nur noch katastrophal und traumatisch zu nennen: Vor allem Babys unter einem Jahr und Kleinkinder sind am stärksten von der um sich greifenden Hungersnot betroffen.

Die UN in Genf erklärte gerade erst am 9. Juli:

„Wir erklären, dass Israels absichtliche und gezielte Aushungerungskampagne gegen das palästinensische Volk eine Form völkermörderischer Gewalt ist, in deren Folge überall in Gaza Hunger ausbrach. Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf, die Bereitstellung von humanitärer Hilfe auf dem Landweg und mit welchen Mitteln auch immer vordringlich zu unterstützen, die israelische Belagerung zu beenden und einen Waffenstillstand durchzusetzen.“

Ärzte in Gaza berichten von alarmierenden Trends von immer mehr Frühgeburten und untergewichtigen Babys. Das sind offensichtlich klare Indikatoren von schwerer Unterernährung, verschärft durch Stress, Angst und Erschöpfung, zuerst und vor allem bei schwangeren Frauen. Dazu kommt das Problem, dass es schlicht kaum Nahrungsergänzungsmittel für schwangere oder für stillende Frauen gibt. Laut einem aktuellen UN-Bericht, so reliefweb (OCHA) am 17. Juli, gibt es massive gesundheitliche Probleme für etwa 155.000 schwangere und stillende Frauen, weil sie keinen Zugang zur Betreuung vor und nach der Geburt haben. Es gibt keine Transportmöglichkeiten oder diese sind zu teuer, es gibt nicht genug Krankenwagen und viele der Krankenhäuser, selbst wenn sie erreicht werden können, sind nur noch teilweise funktionsfähig.

Es gibt deshalb immer mehr Berichte über Notfallgeburten in Zelten, ohne jegliche medizinische Hilfe, mitten in der Nacht. UNFPA Executive Director Dr. Natalia Kanem beschreibt die Lage auf der „Urgent Humanitarian Response for Gaza“ Konferenz in Amman am 11. Juni:

„Stellen Sie sich vor, sie sind eine schwangere Frau in Gaza – eine Zeit, die bestimmt sein sollte von freudiger Erwartung, steht stattdessen unter dem drohenden Schatten von Tod, Zerstörung und Verzweiflung. Selbst wenn das Baby gesund auf die Welt gekommen ist, stellt sich für die junge Mutter die Frage, wie sie ihr Baby warmhalten, ernähren, ja schlicht am Leben halten kann. Traumatisiert, dehydriert, unterernährt, stehen viele schwangere und stillende Frauen … vor einer drohenden Hungerkatastrophe und ohne den Zugang zu einem Minimum von Nahrung und Medizin, damit das schlichte Überleben ermöglicht ist.“

Die Statistik zeichnet ein erschütterndes Bild:

96% der Mütter und Kinder (zwischen 6 und 23 Monaten) haben keine garantierte Nahrungsversorgung. 346.000 Kinder unter 5 und 160.000 schwangere und stillende Frauen brauchen Nahrungsergänzungsmittel, die es schlicht nicht gibt. 50.000 Kinder müssten wegen akuter Unterernährung behandelt werden. 17.000 schwangere Frauen sind inzwischen in der Phase von Notfall-Unterernährung (IPC4), 11.000 sogar in der Phase von katastrophaler Unterernährung (IPC5).

Wo bleibt der überfällige Druck von außen auf Israel, den Völkermord in Gaza zu beenden?