GÖAB Newsletter Nr. 26/2022

Apropos Menschenrechte: Wo bleiben jene des Palästinensischen Volkes?

In jüngster Zeit überschlagen sich die westlich-demokratischen Regierungen und die mit deren Politik mehr oder minder eng verbundenen Mainstreammedien in ihren Bekenntnissen zu Demokratie, Menschenrechten und was sonst noch gerade passend sein mag. Bei manchen Themen kann man diesen kämpferischen Bekenntnissen auch durchaus zustimmen. Die russischen Aggression gegen die Ukraine ist zweifellos ein durch nichts zu rechfertigender eklatanter Bruch der nach 1945 geschaffenen völkerrechtlichen Ordnung. Dass sich die weitverbreitete Empörung, so sehr diese in einzelnen Fällen auch verständlich sein mag, aber im internationalen Gleichschritt immer wieder mit den gleichen Themen befasst und im nahezu selben Gleichschritt bestimmte Themen einfach unter den Tisch fallen lässt, fällt den westlich-demokratischen Atlantikern und ihren outlets kaum mehr auf. 

Eines der eklatantesten Beispiele für diese Politik der Doppelstandards ist zweifellos der israelisch-palästinensische Konflikt. Dieser würde zweifellos anders aussehen, wenn die USA nicht spätestens seit den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts die völkerrechtswidrige Politik Israels, wer dort auch immer an der Macht war, ohne Wenn und Aber unterstützt und zudem mit Hunderten Milliarden USD finanzierte. Nun, diese Unterstützung von internationalen Rechtsbrecherregimen ist in der US-amerikanischen Politik nichts Neues, dort haben – wer auch dort immer gerade an der Macht war – mmer in erster Linie die eigenen Machtinteressen dominiert. („America first“). Und wenn es also den US-Interessen jeweils nützlich war/ist, hat man regelmäßig über Vergehen und Verbrechen von Alliierten hinweggesehen – soferne man nicht selbst direkt internationales Recht gebrochen hat. 

Bei Europa ist das schon etwas komplizierter. Hier hat man – zumindest bislang – zumindest rhetorisch – die völkerrechtlichen und politischen Ansprüche des Palästinensischen Volkes unterstützt. Zu mehr hat es trotz zahlreicher Anlässe bislang nicht gelangt. Im Gegensatz zu anderen Konfliktsituationen, in denen Europa sehr wohl zu gravierenden Maßnahmen wie Sanktionen gegriffen hat, hat man davon bei diesem Konflikt nie Gebrauch gemacht. Um die Kritik von Doppelstandards aufzufangen, hat man aber die palästinensische Sache großzügig unterstützt. Dass man aber gleichzeitig auch Israel großzügig unterstützt hat, soll in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Dass führende europäische Staaten bilateral Israel auch militärisch unterstützen (alleine die deutschen U-Bootgeschenke haben alles in allem wohl die Milliardengrenze überschritten) und seit einigen Jahren dies auch seitens der EU gemacht wird, ist im Falle eines Staates, der de facto permanent in Kriegsaktionen verstrickt ist, höchst delikat. Dass zuletzt aufgrund des Druckes von besonders israelfreundlichen EU-Staaten bereits vereinbarte und zugesagte Förderungen für Palästina verzögert und mitunter auch gekürzt worden sind, ist ein weiterer Aspekt, der bezüglich der europäischen Haltung zum israelisch-palästinensischen Konflikt nach Nachdenken Anlass geben sollte.

Europa lässt die Palästinenser im Stich

Dass die EU und auch viele europäische Staaten sich inzwischen der US-amerikanischen Dopplestandardspolitik angenähert haben, ist offensichtlich. Dafür gibt es zweifellos globale und geostrategische Gründe, die in manchen Fällen auch durchaus nachvollziehbar sein mögen, aber der israelisch-palästinensische Konflikt – nimmt man die europäischen Menschenrechtsbekenntnisse nur einigermaßen ernst – ist dafür ein absolut unpassender Bereich. So war es für viele Beobachter und Experten absoiut nicht überraschend, dass zu den letzten israelischen Militäraktionen es in Europa mehr Solidarisierungserklärungen mit Israel und seinem „selbstverständlichen Selbstverteidigungsrecht“ als Verurteilungen gezielter Tötungen und des unangemessen Einsatzes von militärische  Gewalt gegen Wohngebiete und unbeteiligte Zivilisten gegeben hat. 

Es ist hoch an der Zeit, dass jene Europäerinnen und Europäer, welche Menschen- und Völkerrecht für universelle  Werte betrachten, der in den letzten Jahren auch in Europa Einzug gehaltenen Politik  der Doppelstandards auf das Schärfste entgegentreten. Wird diesem Trend nicht Einhalt geboten, ist Europa auf dem besten Wege, ein zweitklassiger Vasalle der USA zu werden. Wenn es noch so etwas wie „europäische Werte“ geben sollte, dann sind diese jetzt und sofort zu verteidigen, auch im Nahen Osten aber nicht nur dort.

Ich verweise abschließend nochmals auf die Erklärung der GÖAB sowie auch auf unser Protestschreiben an BM Schallenberg. Die „Wiener Zeitung“ hat in ihrer Wochenendausgabe eine unwesentlich gekürzte Fassung des Briefes veröffentlicht, siehe Beilagen.

Des weiteren empfehle ich auch die beiliegenden Analysen des israelischen Journalisten Gideon Levy und des israelischen (von dort aber bereits vor Jahren weggemobbten) Historikers Ilan Pappe.

Mit besten Grüßen!
Fritz Edlinger
Generalsekretär

https://www.haaretz.com/opinion/2022-08-11/ty-article-opinion/.premium/when-roger-waters-cried/

https://www.palestinechronicle.com/when-will-the-west-publicly-endorse-the-right-of-the-palestinians-to-defend-themselves/


Leserbrief in der Wiener Zeitung vom 12./13. August 2022

Kritik an Österreichs Solidarisierung in Nahost

Die auf dem Twitter-Account des Außenministeriums veröffentlichte Stellungnahme zu den jüngsten israelischen Militäraktionen in Gaza kann nicht unwidersprochen bleiben. Die Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen wurde 1982 als zivilgesellschaftliches Forum ins Leben gerufen, um die national und inter- national anerkannte nahost-politische Position Österreichs zu untermauern. Der breite nationale Konsens kam auch dadurch zum Ausdruck, dass sämtliche Nationalratsparteien die neugegründete Organisation unterstützten und führende Persönlichkeiten in den Vorstand (Präsident Karl Blecha, Vizepräsidenten Erhard Busek und Norbert Steger) entsandten.

Inzwischen hat sich die nationale, aber auch internationale Situation wesentlich geändert, im Kernbereich der Nahost-Politik, dem israelisch-palästinensischen Konflikt, leider nicht zum Besseren. Heute, fast 30 Jahre nach der von vielen Hoffnungen begleiteten Osloer Grundsatzerklärung, sind wir weiter von einer fairen, völkerrechtskonformen Lösung entfernt als je zuvor. Neben anderen Faktoren ist daran vor allem Israels unverändert fortgesetzte völkerrechtswidrige Siedlungspolitik verantwortlich. Israel verletzt damit nicht nur alle wesentlichen politischen und völkerrechtlichen Bedingungen für die Lösung des Konfliktes, sondern verstößt auch gegen zahllose internationale Resolutionen, darunter auch solche seitens der EU. Es gibt also absolut keine Veranlassung zu einer radikalen Veränderung der österreichischen Nahost-Politik, die leider festzustellen ist.

Wie auch die höchst umstrittene Beflaggung von Bundeskanzleramt und Außenministerium bei einem früheren Konflikt unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, solidarisiert sich die Bundesregierung nahezu uneingeschränkt mit Israels Politik und ignoriert dessen primäre Verantwortung für das Scheitern zahlloser internationaler Vermittlungs- versuche. Wir verurteilen die völlig einseitige österreichische Nah- ost-Politik, die weder den völker- rechtlichen Gegebenheiten noch den wohlverstandenen Grundsätzen der Neutralität entspricht.

Fritz Edlinger, Generalsekretär der Gesellschaft für Österreichisch- Arabische Beziehungen