#2: Ost-Jerusalem ohne politische Führung – Faisal Husseinis Tod 2001 hinterließ eine enorme Lücke

Panorama of Jerusalem Old City with Church of the Holy Sepulchre, Israel

Faisal al-Husseini starb am 31. Mai in Kuwait. Ein Herzschlag beendete sein Leben viel zu früh. Er war nach Kuwait gereist um zu versuchen, die nach dem Golfkrieg 1991 abgebrochenen Beziehungen zwischen der PLO und Kuwait wiederzubeleben.

Sein Leichnam wurde nach Amman gebracht und weiter mit einem jordanischen Armee-Hubschrauber nach Ramallah. Der Trauermarsch am 1. Juni begann in Ramallah und führte nach Jerusalem. Vor dem Orient-Haus, dem Sitz der palästinensischen Führung unter Faisal al-Husseini in Ost-Jerusalem, warteten Massen von Menschen, um sich anzuschließen. Ich selbst konnte mit meiner gesamten Familie dabei sein. Wer immer teilnehmen konnte, schloss sich an: Männer, Frauen, Kinder, Säkulare, Gläubige, Palästinenser, linke Israelis, Internationale, Christen wie Muslime: Faisal vereinigte sie alle noch einmal hinter seinem Sarg. Wir folgten ihm bis zum Haram al-Sharif. Alle betraten den Haram in Würdigung Faisals, wieder Frauen wie Männer, Muslime, Christen, Juden, Säkulare.

Ein historisches Ereignis, das Jerusalem weder davor noch danach erlebt hatte. Historisch aber vor allem der Verlust: Ost-Jerusalem hat seitdem keine politische Führung oder Vertretung mehr – weder gegenüber der israelischen Besatzung noch innerhalb der palästinensischen politischen Elite, ob in der sulta in Ramallah oder in der kritischen Opposition.

Die Grablegung erfolgte im engeren Familienkreis: Faisal fand die letzte Ruhe neben seinem Vater, Abdelqader al-Husseini, und seinem Großvater, Musa Qazem al-Husseini. Faisals Sohn, Abdelqader (nach seinem Großvater benannt, wie die Tradition das vorgibt) erzählte mir alles im Detail bei unserem Gespräch vor wenigen Tagen (Freitag, 19. Juli 2024).

Geburt und erste Lebensjahre von Faisal al-Husseini

Faisal wurde am 17. Juli 1940 in Baghdad geboren. Er wäre in diesem Monat 84 Jahre alt geworden – (ist also jünger als der amtierende palästinensische Präsident Mahmud Abbas, der inzwischen 88 Jahre alt ist). Sein Vater, Abdelqader al-Husseini, bis heute einer der Helden des palästinensischen Befreiungskampfes, war nach der ersten palästinensischen Revolte 1936-1938 verwundet und dann von der englischen kolonialen Mandatsmacht verhaftet worden. Über Beirut und Syrien gelangte er in den Irak. Eben dort, im Exil, wurde Faisal geboren. Nach einer weiteren Verhaftung durch die englische Kolonialmacht, nun im Irak, wurde er durch Intervention von Nuri Said, dem irakischen Regierungschef, freigelassen. Saudiarabien gewährte schließlich der gesamten Familie politisches „Asyl“.

1946 kam die Familie über Kairo wieder zurück nach Jerusalem. Abdelqader wurde in den Kämpfen gegen die Haganah am 8. April 1948 (also noch vor der Staatsgründung Israels) in der Schlacht von Qastel, westlich von Jerusalem, erschossen. Faisal wuchs als Halbwaise auf.

Faisal al-Husseini und Gaza in der Ersten Intifada

In den Jahren 1982 bis 1987 war er mehrmals sowohl in Hausarrest als auch in israelischer Haft wegen seiner politischen Aktivitäten als Mitglied von Fateh. Nach seiner Freilassung und nach Beginn der ersten Intifada nahm er seine beiden Kinder, Abdelqader und Fadwa, mit nach Gaza, damit sie nicht nur Jerusalem und die Westbank, sondern auch Gaza kennenlernten. Abdelqader erinnert sich noch sehr genau: drei junge Fatah-Aktivisten aus Gaza, Rafiq, Mohammed und Yunis holten sie mit einem Fiat ab an der Grenze zwischen Israel und dem Gaza-Streifen… heute der berühmt-berüchtigte Erez-Checkpoint. Zuerst machten sie Stopp im Jabaliya Flüchtlingslager im Norden Gazas. Dort nahmen sie an den Trauerfeierlichkeiten von zwei Jugendlichen teil. Die Mutter der Beiden, die insgesamt sechs Söhne hatte, war gefasst und hatte eine klare Botschaft für die Besucher aus Jerusalem: Ich bin bereit, noch weitere drei Söhne an die Intifada zu verlieren. Nur einer soll mir bleiben. Entscheidend ist, dass wir unsere Freiheit erkämpfen.

In Gaza bestand Faisal darauf, dass er nicht als Vertreter der Husseini-Familie, also führender Jerusalemer Notabeln, gekommen war. Vielmehr repräsentierte er Fatah und entscheidend die PLO als Vertretung der Palästinenser. Für ihn war es wichtig, so erinnert sich sein Sohn, dass die Zeit der Notabelnführung, die Zeit der Familien-Clans, vorbei war. Jetzt gab es eine nationale Führung, die alle Palästinenser repräsentierte und mit der alle Palästinenser ihre Freiheit erkämpfen würden mit ihrem Aufstand, durch die Intifada.

Noch vor dem Abzug der israelischen Armee aus dem Gazastreifen zu Beginn des Osloer Prozesses, also Ende 1993/Anfang 1994 (ehe die PLO unter Arafat nach Gaza kam) besuchte Faisal, wieder mit den Kindern, den Gazastreifen. In Deir el-Balah wurden sie von ihren Begleitern, alles Fatah-Aktivisten, gewarnt: in der Nähe seien Hamas-Aktivisten sein. Die Fatah-Leute „verzogen sich“, Faisal ging weiter und traf die Hamas-Aktivisten und begann eine intensive Diskussion. Er teilte mit ihnen seine Sorge, dass Israel bei der erstbesten Gelegenheit den ganzen Gazastreifen zerstören würde…

Arab Studies Society bis zur Schließung des Orient-Hauses im August 2001 durch

Regierung von Ariel Sharon

1979 gründete Faisal die Arab Studies Society, die er bis zu seinem Tod leitete. Ihr Sitz war das Orient-House in Ost-Jerusalem, ein Gebäude im Besitz der Husseini-Groß-Familie auf ihrem Privatland. Die Arab Studies Society widmete sich der Forschung über Jerusalem und Palästina. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit war das Zusammentragen von historischen Dokumenten, ebenfalls über Palästina generell, über Jerusalem im Besonderen. Viele politische und eher forschungsrelevante Veranstaltungen wurden im Orient-House durchgeführt.

Es gab jahrelange Versuche, zuerst durch Benjamin Netanyahu, dann durch seinen Nachfolger Ehud Olmert, das Orient-House und die Aktivitäten dort zu stoppen. Erst in der zweiten Intifada kam der endgültige Schließungsbeschluss durch Ariel Sharon im August 2001, gerade drei Monate nach dem Tod von Faisal. Die israelische Grenzpolizei, die in Jerusalem anstelle der Armee agiert, und der Geheimdienst drangen in das Orient-House ein und konfiszierten alles, was ihnen in die Hand fiel: von persönlichem Eigentum von Faisal und seinen Büchern sowie persönlichen Fotos über Informationen zur Madrid-Konferenz 1991, an der Faisal teilgenommen hatte, bis hin zur Foto-Kollektion der Arab Studies Society.

Bis heute hat Israel lediglich persönliche Fotos der Husseini-Familie zurückgegeben. Der Rest ist nach wie vor in israelischer Hand.

Faisal al-Husseini Stiftung

Nach dem Tode ihres Vaters gründeten Abdelqader und seine Schwester Fadwa die Faisal al-Husseini Stiftung. Sie wollten damit die Arbeit des Vaters fortführen und vor allem den Namen und die Erinnerung des Vaters erhalten. Schwerpunkt wurden sehr schnell Bildung und vor allem Schulbildung. Die Stiftung unterstützt Schulen in Ost-Jerusalem, mit dem Versuch, dort bestmögliche Lernbedingungen für alle Kinder zu schaffen.  Dies ist ein wichtiges Ziel. Denn besser situierte Familien schicken ihre Kinder auf Privatschulen, in denen sehr hohe Schulgebühren zu bezahlen sind. Der Stiftung geht es demgegenüber um Schulen, in denen kostenlos gelernt werden kann.