#8: Al-Haq – Stoppt den Völkermord
Stoppt die koloniale Gewalt gegen die Palästinenser
(Law in the Service of Man)
Von Helga Baumgarten
Shawan Jabarin ist derzeit rund um die Uhr beschäftigt. Trotzdem ist er bereit – kurz vor der Abreise zu einem wichtigen Termin in Spanien – mir als ehemaliger Birzeiter Kollegin von seiner kostbaren Zeit zu geben. Wir treffen uns in den Büros von al-Haq im Zentrum des alten Ramallah, im ersten Stock einer der christlichen Schulen der Stadt. Al-Haq sammelt seit Beginn des Völkermordes in Gaza Informationen zur Verletzung des Völkerrechtes in Palästina, speziell in Gaza, aber auch in Ost-Jerusalem und in der Westbank. Diese Informationen werden weitergereicht an internationale Menschenrechtsorganisationen, an den Internationalen Gerichtshof und den Internationalen Strafgerichtshof.
Seit dem frühen Morgen des 28. August konzentriert sich al-Haq auf den verheerenden, zerstörerischen und blutigen Angriff der israelischen Armee auf den Norden der Westbank: Jenin, Tulkarm und Tubas und Nablus sowie Hebron und die Flüchtlingslager im Süden der Westbank. Bis heute wurden wohl 38 Menschen getötet, darunter 9 Minderjährige,
durch Drohnenangriffe und Heckenschützen der Armee, so der Haaretz Aufmacher am 6. September. Das Leben dort ist zum Stillstand gekommen. Die Armee hat alles abgeriegelt, selbst Krankenhäuser. Krankenwagen werden nicht durchgelassen, Familienväter können keine Nahrung für ihre Familien besorgen, die Infrastruktur ist weitgehend zerstört und es gab die ersten Anweisungen an die Bewohner des Flüchtlingslagers Nur Shams bei Tulkarm und des Flüchtlingslagers Jenin außerhalb der Stadt Jenin, das Lager zu evakuieren:
Gaza ist in der Westbank angekommen. https://www.alhaq.org/advocacy/23785.html
Eine der letzten Interventionen von al-Haq, am 6. August, war ein Bericht an den ICC (gemeinsam mit zwei weiteren palästinensischen Menschenrechtsorganisationen (PCHR, also Palästinensisches Menschenrechtszentrum, und Al-Mezan Zentrum für Menschenrechte aus Gaza). Sie argumentierten, dass der ICC berechtigt ist zur Anklage gegen israelische Staatsangehörige wegen Verbrechen, die auf dem gesamten 1967 von Israel besetzten palästinensischen Gebiet verübt wurden. Die Osloer Verträge bilden keinen Hinderungsgrund zur vollen Ausübung der Jurisdiktion des Gerichtes. Das schließt auch die Ausstellung von Haftbefehlen gegen israelische Bürger und Politiker nicht aus.
Al-Haq wies mit aller Schärfe eine vorherige britische Intervention zurück, in der GB die Meinung vertrat, der ICC habe als Folge der Osloer Verträge keine Jurisdiktion über israelische Staatsbürger wegen Rechtsverletzungen in den palästinensischen Gebieten. https://www.alhaq.org/about-alhaq/7136.html Der Beschluss (Advisory Opinion) des Internationalen Gerichtshofes zur israelischen Besatzung über Westbank, Ost-Jerusalem und den Gaza-Streifen vom 19. Juli 2024 hat das unwiderruflich bestätigt. Er weist ausdrücklich darauf hin, dass die Besatzung nicht durch die Osloer Verträge aufgehoben wurde.186-20240719-sum-01-00-en.pdf
Entscheidend ist dabei Folgendes:
- „Der ICJ kommt zum Schluss, dass Israels Politik und Praxis gegen internationales Recht verstoßen. Die Aufrechterhaltung dieser Politik und dieser Praxis sind ein illegaler Akt…“
- „…die fortgesetzte Präsenz Israels im Besetzten Palästinensischen Territorium ist illegal…“
- al-Haq nimmt diese Beschlüsse zur Grundlage seiner internationalen Interventionen, die das Ziel haben, die israelische Besatzung zu beenden.
- Dabei stehen zwei Forderungen an vorderster Stelle:
- Beendigung des Genozides in Gaza
- Stopp der Gewalt und der ethnischen Säuberungen in Ost-Jerusalem und in der Westbank.
Shawan Jabarin geht davon aus, dass der Internationale Gerichtshof die eigentliche Arbeit zur Feststellung, ob Israel in Gaza Genozid verübt (nicht nur, wie im Januar festgestellt, dass es plausibel sei, Israels Aktionen in Gaza als Genozid zu bezeichnen) im Oktober 2024 aufnimmt. Er hofft – sehr optimistisch – dass diese Arbeit nach etwa einem Jahr abgeschlossen sein wird.
Foto: Sami Darwish al-Kurd
Terrorismus-Beschuldigung durch Israel am 22.Oktober 2021 gegen sechs palästinensische Menschenrechtsorganisationen, darunter al-Haq
Jabarin kann sich das Lachen nicht verkneifen, als ich ihn darauf anspreche. Für ihn ist die Motivation Israels glasklar. Israel will um jeden Preis die Arbeit von Organisationen wie al-Haq verhindern. Al-Haq genießt weltweit einen ausgezeichneten Ruf. Die Berichte von al-Haq werden international wahrgenommen und geschätzt als verlässliche Informationen über Menschenrechtsverletzungen durch Israel, durch die Armee ebenso wie durch Siedler, in den Besetzten Gebieten, genauer im Staat Palästina, den 145 Staaten anerkennen, darunter inzwischen auch europäische Staaten wie zuletzt Norwegen, Spanien, Irland und Slowenien.
Al-Haq und an erster Stelle Jabarin trifft immer wieder verantwortliche Politiker und Staatschefs, um die Argumente von al-Haq zu kommunizieren.
UN-Menschenrechtsexperten in Genf forderten schon am 25. April 2022 Staaten und internationale Organisationen auf, die finanzielle Unterstützung der sechs Organisationen wiederaufzunehmen, da Israel keinerlei stichhaltige Beweise für seine Beschuldigungen vorgelegt habe. Deutschland und Österreich sind diesem Ruf nicht gefolgt, obwohl sowohl die EU als auch Deutschland als EU Mitglied keine Beweise von Israel erhalten haben.
Noch 2022 hat Österreich al-Haq den Bruno Kreisky Preis verliehen!
https://www.alhaq.org/advocacy/20191.html
Al-Haq wurde 1979 von den palästinensischen Rechtsanwälten Raja Shehadeh, Jonathan Kuttab und Charlie Shammas gegründet, also ganze 10 Jahre vor B’tselem. Das letzte Buch von Raja Shehadeh (2024), wurde inzwischen ins Deutsche übersetzt unter dem Titel:
Was befürchtet Israel von Palästina?: Von der Hoffnung auf einen gerechten Frieden.
Den englischen Titel veränderte der deutsche Westend Verlag, indem er hinzufügte: „Von der Hoffnung auf einen gerechten Frieden.“ Viel Hoffnung darauf hat Raja Shehadeh allerdings nicht angesichts des Völkermordes in Gaza. Und diese Auffassung teilt auch Shawan Jabarin.
Raja Shehadeh publizierte in den Jahren, als er al-Haq leitete, bis heute unverzichtbare Bücher. An erster Stelle ist hier zu nennen: „Occupier’s Law. Israel and the West Bank“. Es ist 1985 in einer ersten Auflage und 1988 in einer revidierten Auflage beim „Institute of Palestine Studies“ in Washington erschienen. Jonathan Kuttab ist nach wie vor im Aufsichtsrat von al-Haq. Er ist heute involviert in die Aktion von Mubarak Awad, der das Schiff „Handala“ mit Hilfsgütern nach Gaza bringen wird.
Mubarak Awad versuchte in den achtziger Jahren, die Philosophie Gandhis zur Gewaltlosigkeit in Palästina zu propagieren. Er wurde deswegen prompt von Israel ausgewiesen.
Foto: Sami Darwish al-Kurd
2019 feierte al-Haq das vierzigjährige Jubiläum seiner Arbeit.
Diese Arbeit können Interessierte im Detail nachlesen in der Publikation von Lynn Welchman: „A Global History of the First Palestinian Human Rights Organization“. Das Buch wurde 2021 von der University of California Press publiziert. Es ist offen zugänglich und kann frei heruntergeladen werden.
https://webfiles.ucpress.edu/oa/9780520976900_EPUB.epub
Ein Artikel über al-Haq kann nicht enden ohne über Khalida Jarrar, derzeit in mörderischer Einzelhaft in Israel, zu schreiben. Ihre Tochter Soha arbeitete seit 2017 bei al-Haq und verstarb völlig unerwartet und viel zu früh – sie war gerade 30 -. Khalida Jarrar war zu diesem Zeitpunkt, 2021, wieder einmal in israelischer Haft. Ihre Rechtsanwälte beantragten die Erlaubnis, dass die Mutter an der Beerdigung der Tochter teilnehmen könnte. Israel lehnte ab. Al-Haq intervenierte mit einer Eilaktion durch Appelle an viele Staaten und vor allem an das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, um die Freilassung auf der Basis humanitärer Gründe zur Teilnahme an der Beerdigung zu erreichen.
https://www.alhaq.org/advocacy/18621.html
Auch diese Intervention stieß auf menschenverachtende Ablehnung durch das israelische Gefängnis-Regime. Heute müssen wir um das Leben von Khalida Jarrar fürchten.
Al-Haq teilt sich die Arbeit zu palästinensischen Gefangenen inzwischen mit ad-Dameer und die Organisation hat gerade einen Appell zur Lage von Khalida Jarrar veröffentlicht:
https://www.addameer.org/news/5391
„Die Lage ist bedrohlich. Aber wir werden weiter Widerstand leisten. Das Recht ist auf unserer Seite.“
Mit diesen Worten beendete Shawan Jabareen unser Gespräch.